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Tremorgene Mykotoxine

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Mykotoxine sind giftige Stoffwechselprodukte von Schimmelpilzen. Zu den neurotoxisch tremorgenen Mykotoxinen zählt Penitrem A (= Tremortin A) und Lolitrem B; zu den neurotoxisch paralytischen Roquefortin C (= Isofumigaclavin C). Penitrem A ist ein Diterpen-Indolalkaloid und wird unter anderem von der Schimmelpilzart Penicillium crustosum als sekundärer Metabolit von Paxillin gebildet. Von Penicillium crustosum wird auch Roquefortin C, ein cyclisches Peptid, produziert. Da die Nachweisgrenze von Roquefortin C tiefer ist, als die von Penitrem A, kann bei Penitrem A-Vergiftungen Roquefortin C als sensitiver Biomarker verwendet werden (Tiwary et al., 2009).
 

 

2. Quellen

Penitrem A und Roquefortin C kommen häufig in fettreichen Lebensmitteln wie Nüssen, Käse oder Fleisch, in angeschimmelten Lebensmitteln, Abfällen, Kompost und Walnüssen/Walnusshüllen vor; Roquefortin C auch in Futtergetreide und Silage.
 

3. Kinetik

Penitrem A und Roquefortin C werden im Magen-Darm-Trakt rasch resorbiert, gelangen in den Kreislauf und diffundieren, wegen ihrer Lipophilität, durch die intakte Blut-Hirn-Schranke. Bei Ratten wird Rroquefortine C innerhalb eines Tages zu 3.6- 5.7% im Urin und zu 45-76% im Faeces ausgeschieden. Zu Penitrem A existieren keine Daten (Chapman, 2018; Talcott, 2013; Tiwary et al., 2009).
 

4. Toxisches Prinzip und Toxizität

-Penitrem A steigert die Ausschüttung der exzitatorischen Neurotransmitter Glutamat und Aspartat von den cerebrocorticalen und spinal-medullären Synaptosomen und reduziert die Freisetzung inhibitorischer Neurotransmitter γ-Aminobuttersäure (GABA) und Glycin, was zu Tremor und zentralen Krämpfen führt. Infolge der Aktivierung der Glutamatrezeptoren (NMDA-Rezeptoren) gibt es auch einen hohen Ca++-Einstrom in die Nervenzellen (Chapman, 2018; Tiwary et al., 2009).
-Roquefortin C ist zentral dämpfend (Tiwary et al., 2009).
 

5. Toxizität

-Bei Mäusen war die tiefste einmalige orale Gabe, die Tremor verursachte, 0.50 mg Penitrem A/kg Körpergewicht mit einer Latenzzeit von ca. 30 Minuten und Erholung nach 4-5 Stunden (Moldes-Anaya et al., 2012).
-Die orale Verabreichung von Penitrem A verursachte bei Hühnern innerhalb von 30 Minuten Tremor, die Gabe von Roquefortin C hingegen Ataxie, Apathie und Lethargie (Tiwary et al., 2009).
-Roquefortin C verursachte bei Mäusen in einer Dosis von 169-184 mg/kg Körpergewicht i.p. innerhalb von 15 Minuten serösen Nasenausfluss. Die Tiere wurden zunehmend apathisch und anorektisch und starben innerhalb von 24-48 Stunden. Die Überlebenden erholten sich innerhalb von 4-6 Stunden (Tiwary et al., 2009).
-Eine reversible paralytische Wirkung trat bei Milchkühen auf, die Penicillium roqueforti-kontaminiertes Futtergetreide mit einer durchschnittlichen Roquefortin C-Konzentration von 25.3 µg/kg erhielten (Häggblom, 1990; Tiwary et al., 2009).
-Schafe reagierten nach peroraler Verabreichung von 0.75-2 mg Penitrem A/kg Körpergewicht mit reversiblem Tremor, nach Anstrengung mit Ataxie und Seitenlage. Die Symptome persistierten je nach Dosis während 3-24 Stunden. Die Pathologie des zentralen und peripheren Nervensystems ergab keine signifikanten Läsionen. Roquefortin C, oral, in einer Futterkonzentration von 5-25 mg/kg (= 0.13-0.62 mg/kg Körpergewicht) während 16-18 Tagen, versursachte keine Veränderungen im Verhalten, in der Hämatologie, Reproduktion sowie bei den pre- und postmortem Untersuchungen (Tiwary et al., 2009).
-In verschiedenen Zelllinien zeigte Penitrem A eine 50%ige inhibitorische Konzentration (IC50) von 6.8-21.7 mg/ml, Roquefortin C hingegen war auch in der höchstmöglichsten Löslichkeitsmenge nicht toxisch (Tiwary et al., 2009).
 

II. Spezielle Toxikologie - Kleintier

1. Toxizität

Toxische Dosis beim Hund: geringe Menge angeschimmelte Nahrungsmittel p.o.; 0.5 mg Penitrem A/kg Körpergewicht i.p. (Talcott, 2013).
 

2. Latenz

Weniger als 30 Minuten bis mehrere Stunden. Die Prognose ist in der Regel gut und die Erholung erfolgt meist innerhalb von 24-48 Stunden (selten erst nach 4-5 Tagen) und ohne Folgeschäden, sofern die Dekontamination früh erfolgt und keine Komplikatpionen, wie u.a. eine Aspirationspneumonie, auftreten.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Schwäche, Ataxie, Hyperthermie
  
3.2Nervensystem
Tremor, tonisch-klonische Krämpfe, Hyperästhesie, Nystagmus, Opisthotonus
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Salivation, Erbrechen
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Diarrhoe
  
3.5Respirationstrakt
Tachypnoe
  
3.6Herz, Kreislauf
Tachykardie
  
3.7Bewegungsapparat
Hypertonie der Muskulatur, Rhabdomyolyse
  
3.8Augen, Augenlider
Keine Symptome
  
3.9Harntrakt
Oligurie, Anurie, Nierenversagen
  
3.10Fell, Haut, Schleimhäute
Dehydratation
  
3.11Blut, Blutbildung
Keine Symptome
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Keine Symptome
 

4. Sektionsbefunde

Makroskopie: keine signifikanten Läsionen. Histologie: Vakuolen im Zytoplasma der Neuronen der Kleinhirnrinde sowie eine Schwellung der Astrozyten und Purkinjezellen infolge des hohen Ca++-Einstroms (Tiwary et al., 2009); multifokale cerebelläre Blutungen, Nekrose der Nierentubuli (Eriksen et al., 2010).
 

5. Weiterführende Diagnostik

5.1Direkter Nachweis
Es ist möglich, Penitrem A und Roquefortin C im Serum, Harn oder Mageninhalt mittels Flüssigchromatographie-Tandem-Massenspektrometrie (LC-MS/MS) nachzuweisen.
 
5.2Veränderte Laborwerte
-Vollblut: leichtradige Azidose.
-Blutchemie: leichter Anstieg von Kreatinin und Glukose
 

6. Differentialdiagnose

-Gastroenteritis viraler oder bakterieller Genese
-Enzephalitis
-Eklampsie bei Trächtigkeit
-Vergiftung mit Metaldehyd, Strychnin, Pyrethroiden, Nikotin, Drogen, Pilzen, Chlorierten cyklischen Kohlenwasserstoffen, Bromethalin und Carbamaten/Organophosphaten
 

7. Therapie

7.1Notfallmassnahmen
-Kreislauf stabilisieren, gegebenenfalls Bluttransfusion
-Atmung stabilisieren, O2-Gabe, evtl. Intubation, um eine Aspirationspneumonie zu verhindern
-Krämpfe kontrollieren mit GABA-Agonisten wie Diazepam, Propofol oder Barbituraten
 
7.2Dekontamination und Elimination
-Nur bei gutem Schluckreflex: Erbrechen auslösen und danach Gabe von Aktivkohle (alle 2-4 Stunden wiederholen). Der Einsatz von Glaubersalz ist bei Obstipation indiziert.
 
7.3Forcierte Ausscheidung
-20 %ige Lipidinfusion: Bolus von 1.5 ml/kg Körpergewicht i.v., dann 0.25 ml/kg Körpergewicht/Minute während 30 Minuten. Die Therapie kann bei ungenügendem Effekt nach ca. 15 Stunden wiederholt werden.
 
7.4Weitere symptomatische Massnahmen
-Regulierung der Körpertemperatur: kühlen mit kaltem Wasser, Eis oder Isopropanol
-Aufhebung der Azidose: Laktat- oder Bicarbonatinfusion
-Antiemetika, wenn das Erbrechen andauert: Metoclopramid oder Domperidon
 

8. Fallbeispiele

8.1Ein Labrador Retriever, 5-jährig, 35 kg, männlich kastriert, wurde mit einer 2-stündigen Vorgeschichte von intermitterendem, generalisiertem Tremor und zentralen Krampfanfällen präsentiert. Zudem war er gehunfähig und hypersensitiv auf Geräusche und Berührung. Die Blutserumwerte und das Blutbild waren in der Norm. Mageninhalt, Serum und Urin wurden auf Strychnin, Metaldehyd und tremorgene Mykotoxine analysiert. Das Resultat war negativ für Strychnin und Metaldehyd und positiv für Penitrem A und Roquefortine C. Im Mageninhalt wurden 0.6 mg/ml Penitrem A und 1.3 mg/ml Roquefortine C gefunden (Nachweisgrenze bei 25 ng/ml), im Serum 4.2 mg/ml Penitrem A und 13.3 mg/ml Roquefortine C (Nachweisgrenze bei 1 ng/ml), im Urin kein Penitrem A, jedoch 2.1 ng/ml Roquefortine C (Nachweisgrenze bei 1 ng/ml). Der Hund wurde wegen einer Aspirationspneumonie nach Magenspülung euthanasiert (Tiwary et al., 2009).
  
8.2Eine Yorkshire Terrier x Chihuahua-Hündin, 9 Monate alt, kastriert, wurde mit einem generalisierten Tremor vorgestellt. Sie war gehunfähig und hatte eine Hyperthermie von 40.5°C. Anamnestisch hatte sie im Garten des Besitzers Karotten und Mandeln gefressen. Nach provozierter Emesis wurden im Mageninhalt Karotten, Kartoffeln und Pilze gefunden. Ausser einer mittelgradigen Hyponatriämie waren die Serumwerte und das Blutbild in der Norm. Der Hund erholte sich unter der Gabe intravenösen Flüssigkeit sowie Diazepam. Im Mageninhalt konnte kein Penitrem A, jedoch 14.1 ng/ml Roquefortine C (Nachweisgrenze bei 1 ng/ml) nachgwiesen werden (Tiwary et al., 2009).
 

9. Literatur

Boysen SR, Rozanski EA, Chan DL, Grobe TL, Fallon MJ & Rush JE (2002) Tremorgenic mycotoxicosis in four dogs from a single household. J Am Vet Med Assoc. 221(10), 1441-1444
 
Chapman (2018) Nursing a canine with presumptive tremorgenic mycotoxicosis following ingestion of mouldy dog food - a case report. Vet Nur J. 33, 166-169
 
Eriksen GS, Jäderlund KH, Moldes-Anaya A, Schönheit J, Bernhoft A, Jaeger G, Rundberget T & Skaar I (2010) Poisoning of dogs with tremorgenic Penicillium toxins. Med Mycol. 48(1),188-196
 
Häggblom P (1990) Isolation of roquefortine C from feed grain. Appl Environ Microbiol. 56(9), 2924-2926
 
Kormpou F, O'Sullivan A, Troth L & Adamantos S (2018) Use of intravenous lipid emulsion in dogs with suspected tremorgenic mycotoxicosis: 53 cases. The Veterinary Evidence 3(2)
 
Moldes-Anaya A, Rundberget T, Fæste CK, Eriksen GS & Bernhoft A (2012) Neurotoxicity of Penicillium crustosum secondary metabolites: tremorgenic activity of orally administered penitrem A and thomitrem A and E in mice. Toxicon 60(8), 1428-1435
 
Munday JS, Thompson D, Finch SC, Babu JV, Wilkins AL, di Menna ME & Miles CO (2008) Presumptive tremorgenic mycotoxicosis in a dog in New Zealand, after eating mouldy walnuts. N Z Vet J. 56(3), 145-148
 
Robben JH & Dijkman MA (2017) Lipid therapy for intoxications. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 47(2), 435-450
 
Talcott PA (2013) Mycotoxins. In: Small Animal Toxicology, Third Edition. Eds. Peterson ME & Talcott PA. W.B. Saunders Company, Philadelphia, pp. 677-682
 
Tiwary AK, Puschner B & Poppenga RH (2009) Using roquefortine C as a biomarker for penitrem A intoxication. J Vet Diagn Invest. 21(2), 237-239
 
Young KL, Villar D, Carson TL, Ierman PM, Moore RA & Bottoff MR (2003) Tremorgenic mycotoxin intoxication with penitrem A and roquefortine in two dogs. J Am Vet Med Assoc. 222(1), 52-53
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