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Baclofen

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Baclofen (C10H12ClNO2, (RS)-4-Amino-3-(4-chlorphenyl)buttersäure, (±)-4-Amino-3-(4-chlorphenyl)buttersäure, DL-4-Amino-3-(4-chlorphenyl)buttersäure), ein chirales Derivat der γ-Aminobuttersäure (GABA), ist ein zentral wirkendes Muskelrelaxans, das im Rückenmark und im Gehirn die γ-Aminobuttersäure (GABA) nachahmt. Baclofen wird vor allem zur Linderung von Muskelspastizität und Schmerzen im Zusammenhang mit Multipler Sklerose (MS), Zerebralparese und Rückenmarkserkrankungen eingesetzt. Baclofen ist ein weisses, geruchloses kristallines Pulver, das in Wasser gering löslich, in Methanol, Aceton und Diethylether sehr gering und in Chloroform unlöslich ist.
 

2. Quellen

Baclofen ist ein Humanarzneimittel, das bei Hunden zur Behandlung von Harnverhalten eingesetzt wurde, um den Tonus des Harnröhrenschliessmuskels zu reduzieren. Aufgrund der geringen Sicherheitsspanne wird es jedoch nur noch selten eingesetzt. Bei Katzen wird Baclofen nicht empfohlen.
 

3. Kinetik

-Baclofen wird schnell und vollständig aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert. Bei Überdosierung oder grossen Mengen an Mageninhalt kann sich die Resorption jedoch über mehrere Stunden hinziehen.
-Die maximale Plasmakonzentration wird nach 2-3 Stunden erreicht, die Plasmahalbwertszeit beträgt 2-6 Stunden, ist aber bei Überdosierung signifikant verlängert. Baclofen hat ein mässiges Verteilungsvolumen und eine geringe Proteinbindung (30%).
-Etwa 70-85% werden unverändert renal ausgeschieden. Der Rest wird in der Leber zu einem inaktiven Produkt desaminiert und über die Galle ausgeschieden. Ein Teil der Desaminierung findet in den Nierentubuli statt.
 

4. Toxisches Prinzip

-Es wird vermutet, dass Baclofen die Aktivität der afferenten Reflexe im Rückenmark reduziert und dadurch den Muskeltonus und die Spastizität verringert. Der genaue Wirkmechanismus ist noch nicht bekannt.
-Baclofen ist ein selektiver Agonist der GABAB-Rezeptoren im Rückenmark und Gehirn. Die Bindung an diese Rezeptoren reduziert den Kalziumeinstrom in die präsynaptischen Nervenendigungen und verhindert so die Freisetzung erregender Neurotransmitter wie Glutamat, Aspartat und Substanz P durch die primären afferenten Neurone. Der GABAB-Agonismus führt auch zu der Öffnung selektiver K+-Kanäle, zu einer Hyperpolarisation der Neuronenmembran und zu einer Zunahme hemmender neuronaler Signale in den postsynaptischen Neuronen.
-Auch der Mechnismus der durch Baclofen induzierten Krampfanfälle ist noch nicht vollständig geklärt, dürfte jedoch auf eine verminderte GABA-Freisetzung aus den präsynaptischen Neuronen zurückzuführen sein, was zu einer übermässigen Entladung postsynaptischer Nerven führt.
-In therapeutischen Dosen passiert Baclofen die Blut-Hirn-Schranke nur geringfügig. Bei einer Überdosierung kommt es jedoch zu erheblichen Liquor-Konzentrationen, was die Entwicklung eines Komas und Atemdepression fördert.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Die akute orale LD50 ist wie folgt (in mg/kg Körpergewicht):
 RatteMaus
Baclofen145 (50-300)75-200
 

II. Spezielle Toxikologie - Kleintier

1. Toxizität

-Bei Hunden und Katzen sollte jede aufgenommene Menge als potenziell klinisch relevant angesehen werden.
-TD Hund oral: 0.7 mg/kg Körpergewicht (ZNS-Depression, Dyspnoe, Hypothermie); LDLo Hund oral: 2.3 mg/kg mg/kg Körpergewicht.
-TD, LD Katze oral: 2 Katzen entwicklten nach der Aufnahme von 1.7 mg/kg Körpergewicht und 14.7 mg/kg Körpergewicht Baclofen beide klinische Symptome, letztere starb 2 Stunden nach der Exposition.
 

2. Latenz

-Die klinischer Symptome können nach einer akuten Ingestion schnell (30-60 Minuten) oder verzögert (mehrere Stunden) auftreten. Hunde: erste Symptome bereits nach 15 Minuten oder erst nach 7 Stunden.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Ataxie, Agitation, Anorexie, Desorientierung, Vokalisation, ZNS-Depression, Koma; Hypothermie, Hyperthermie
  
3.2Nervensystem
Tremor, zentrale Krampfanfälle
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Hypersalivation, Vomitus, Regurgitation
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Diarrhoe
  
3.5Respirationstrakt
Tachypnoe, Dyspnoe, Atemdepression oder Hypoventilation, Lungenödem, Atemstillstand
  
3.6Herz, Kreislauf
Bradykardie, Tachykardie, Arrhythmie, Hypotonie, Hypertonie
  
3.7Bewegungsapparat
Keine Symptome
  
3.8Augen, Augenlider
Blindheit, Nystagmus, Miosis, Mydriasis
  
3.9Harntrakt
Harninkontinenz
  
3.10Haut, Schleimhäute
Keine Symptome
  
3.11Blut, Blutbildung
Keine Symptome
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Keine Symptome
 

4. Sektionsbefunde

Keine Angaben.
 

5. Weiterführende Untersuchungen

-Die Baclofen-Serumkonzentration: die Serumkonzentration kann trotz klinischer Anzeichen normal sein.
-Oxygenierung: kann mittels arterieller Blutgasanalyse oder Pulsoximetrie beurteilt werden.
-Ventilation: kann mittels arterieller Blutgasanalyse, venöser Blutgasanalyse (bei kardiovaskulär stabilen Patienten) oder ETC02-Überwachung beurteilt werden.
-Thoraxröntgen: nützlich, um eine Aspirationspneumonie zu erkennen.
-Blutbild und Biochemie: zur Beurteilung der systemischen Gesundheit oder zur Ermittlung anderer Differentialdiagnosen: es gibt keine spezifischen Befunde für eine Baclofen-Intoxikation.
 

6. Differentialdiagnosen

-Neuromuskuläre Erkrankungen wie Erkrankungen der unteren Motoneuronen (z.B. Botulismus, Polyradikuloneuritis, Zeckenlähmung (tick paralysis), Myasthenia gravis).
-Erkrankungen des Gehirns (z.B. infektiös, entzündlich, neoplastisch).
-Primäre Stoffwechselerkrankungen (z.B. Nieren-, Leber-, Hypoadrenokortizismus, Hypoglykämie, Elektrolytstörungen).
-Intoxikation mit Benzodiazepinen, Opioiden, Barbituraten, SSRIs, Trizyklischen Antidepressiva, illegalen Drogen.
 

7. Therapie

7.1Notfallmassnahmen
-Kreislauf stabilisieren
-Atmung stabilisieren
-Krämpfe kontrollieren
 
7.2Dekontamination und Elimination
-Provozierte Emesis: so schnell wie möglich, nur bei asymptomatischen Tieren.
-Magenspülung: nach der Einnahme grosser Mengen und falls die provozierte Emesis unproduktiv war oder nicht möglich ist.
-Sofern guter Schluckreflex: Verabreichung von Aktivkohle mit einem Laxans, z.B. Carbodote, Trinklösung (24 g Carbo activatus/100 ml) oder Carbovit® (15 g Carbo activatus/100 ml): einmalig, da Baclofen nicht in den enterohepatischen Kreislauf übergeht.
-Intravenöse Flüssigkeitsdiurese: zur Verbesserung der Ausscheidung.
 
7.3Weitere symptomatische Massnahmen
-Behandlung der Krampfanfälle, Vermeidung eines Liegetraumas, Temperaturkontrolle, wiederholte Beurteilung der Atmung und bei Bedarf Unterstützung.
-Intravenöse Kristalloide: zur Korrektur einer Dehydrierung und zur Aufrechterhaltung der Hydratation.
-Intravenöse Lipidemulsionstherapie oder Hämodialyse/Hämoperfusion (siehe unten).
-Intubation und mechanische Beatmung: bei schwerer Hypoventilation oder Hypoxämie.
Mittel der Wahl
-Intravenöse Lipidemulsionstherapie: kann allenfalls eingesetzt werden.
-Lipidinfusion: 0.25 ml/kg Körpergewicht/Minuten (15 ml/kg Körpergewicht/Stunde) i.v. für 30-60 Minuten. Eine Wiederholung der Dosis kann in Betracht gezogen werden, wenn keine Lipämie vorliegt und der Patient immer noch symptomatisch ist.
-Komplikationen einer Lipidemulsionstherapie: Hyperlipidämie, Hornhautlipidose, akute Atemnot, kardiovaskuläre Dysfunktion, akute Niereninsuffizienz und Koagulopathie.
Medikation bei Krampfanfällen
-Primäre Behandlungsoption: Benzodiazepine, bei refraktären Krämpfen kann eine Anästhesie mit Propofol erforderlich sein.
-Diazepam: 0.25-0.5 mg/kg Körpergewicht i.v.
-Midazolam: 0.1-0.5 mg/kg Körpergewicht i.v., bei Bedarf anschliessend Dauerinfusion mit 0.1-0.3 mg/kg Körpergewicht/Stunde i.v.
-Propofol: 1-4 mg/kg Körpergewicht i.v. als langsamer Bolus, gefolgt von einer Dauerinfusion mit 0.05-0.4 mg/kg Körpergewicht/Minute i.v.
Medikation bei Agitation
-Acepromazin: 0.01-0.04 mg/kg Körpergewicht i.v., s.c., i.m., alle 4-6 Stunden, nach Bedarf.
-Diazepam: 0.1-0.25 mg/kg Körpergewicht i.v. bis zur Wirkung, nach Bedarf.
-Midazolam: 0.1-0.25 mg/kg Körpergewicht i.v. bis zur Wirkung, nach Bedarf.
Medikation bei Vokalisation oder Desorientierung
-Cyproheptadin Hydrochlorid (Serotonin-Antagonist): kann in Betracht gezogen werden.
-Hund: 1.1 mg/kg Körpergewicht p.o. oder rektal (zerkleinert und mit Kochsalzlösung gemischt), alle 4-6 Stunden, nach Bedarf.
-Katze: 2-4 mg/Tier p.o. oder rektal, alle 4-6 Stunden, nach Bedarf.
Bradykardie
-Bei Bradykardie kann Atropin in Betracht gezogen werden.
-Atropin: 0.01-0.04 mg/kg Körpergewicht i.v.
Medikamente gegen Übelkeit: können nach Bedarf verabreicht werden.
 
Alternative Medikamente
-Flumazenil: wurde bei Menschen und bei Ratten mit unterschiedlichen Ergebnissen eingesetzt. Das Medikament kann möglicherweise Krampfanfälle auslösen. Dosis: 0.01 mg/kg Körpergewicht i.v. bis zur Wirkung.
 
Extrakorporale Therapie
-Gemäss tierärztlichen Fallberichten waren die Hämodialyse und Hämoperfusion bis zu einem gewissen Grad erfolgreich: es wurden die Serum-Eliminationshalbwertszeit von Baclofen sowie die Erholungszeit der Patienten verkürzt und die klinischen Symptome verringert. Das niedrige Molekulargewicht, die geringe Proteinbindung und das mässige Verteilungsvolumen von Baclofen sprechen für eine Hämodialyse.
 
Überwachung des Patienten
-Regelmässige Überwachung der Vitalfunktionen und des neurologischen Status.
-Je nach Schweregrad: kontinuierliches EKG, Pulsoximetrie, Kapnographie, Blutdruckmessung, Blutgasüberwachung und Temperaturkontrolle.
-Mögliche Komplikationen: Aspirationspneumonie, häufig und potenziell schwerwiegend.
 
7.2Erwarteter Verlauf und Prognose
-Die Prognose variiert erheblich: je nach der aufgenommenen Menge, der Latenz bis zur geeigneten Behandlung und der Entwicklung von Komplikationen. Bei frühzeitiger und geeigneter Behandlung ist die Prognose relativ gut, bei längerer Wartezeit bis zur Versorgung, bei der Einnahme grösserer Mengen und bei Entwicklung von Krampfanfällen oder Aspirationspneumonie ist die Prognose verhalten bis schlecht.
-Gemäss einer retrospektiven Studie überlebten 84% (57/68) der Hunde mit einer Baclofen-Intoxikation. Die eingenommene Menge war bei den Hunden, die überlebten, signifikant niedriger (Median 4.2 mg/kg, Range 0.61-61 mg/kg) als bei denen, die nicht überlebten (Median 14 mg/kg, Range 2.3-52.3 mg/kg). In der gleichen retrospektiven Studie überlebten zwei von drei Katzen.
-Je nach Schweregrad ist bis zur vollständigen Genesung eine Hospitalisation von 5-7 Tagen notwendig. Es werden keine bleibenden Schäden erwartet.
 

9. Literatur

Hovda LR, Brutlag AG, Poppenga RH & Epstein SE (2024) Blackwell's five-minute veterinary consult clinical companion: small animal toxicology, 3rd edition. Wiley Blackwell, pp. 129-133
 
Khorzad R, Lee JA, Whelan M, Brutlag AG, Martin EP, Miyahara LT & Hovda LR (2012) Baclofen toxicosis in dogs and cats: 145 cases (2004-2010). J Am Vet Med Assoc 241(8), 1059-1064
 
SDB Baclofen (2023) https://sds.edqm.eu/pdf/SDS/EDQM_201600087_1.0_SDS_DE.pdf?ref=1733599082 (erfasst am 22.4.2025)
 
SDB Baclofen (2020) https://www.camberpharma.com/wp-content/uploads/2020/12/Baclofen-Tablets-USP-SDS-25Nov20.pdf (erfasst am 22.4.2025)
 
SDB Baclofen (2018) https://www.spectrumrx.com/media/sds/B1049_AGHS.pdf (erfasst am 22.4.2025)
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