2. Quellen
Humanarzneimittel, von denen
Diazepam,
Midazolam,
Alprazolam und
Zolazepam (in Kombination mit dem Dissoziativum
Tiletamin) häufig in der Tiermedizin eingesetzt werden.
3. Kinetik
Die Benzodiazepine werden oral gut resorbiert, sind stark proteingebunden und lipidlöslich. Die maximalen Plasmakonzentration wird nach 30-120 Minuten erreicht. Die Benzodiazepine haben in Gehirn, Leber und Milz ein hohes, in Fett und Muskeln ein geringes Verteilungsvolumen. Sie werden in der Leber in aktive und inaktive Metaboliten metabolisiet. Die Halbwertszeit von Diazepam beträgt bei der Katze nach intravenöser Verabreichung 5.46 Stunden, die Eliminationshalbwertszeit von Nordiazepam (aktiver Diazepam-Metabolit) 21.3 Stunden. Diazepam wird glucuronidiert und mit dem Urin ausgeschieden. Die Dauer der Wirkung ist für jede Benzodiazepinverbindung spezifisch.
Generischer Name | Handelsname | Maximale Plasmakonzentration (Mensch) (in Stunden) | Halbwertszeit (Mensch) (in Stunden) | Wirkungseintritt |
Alprazolam | Xanax®, Tafil® | 1-2 | 6.3-26.9 | mittelschnell |
Chlordiazepoxid | Librium®, Radepur®, Multum® | 0.5-4 | 5-30 | mittelschnell |
Clonazepam | Rivotril®, Klonopin® | 1-2; 1-3 (Hund) | 18-50; 1.5-2.8 (Hund) | mittelschnell |
Clorazepat | Tranxilium®, Tranxene® | 1-2 | 40-50 | schnell |
Diazepam | Valium® | 0.5-2; 0.75-1 (Hund) | 20-80; 2.5-3.2 (Hund); 5.5 (Katze) | sehr schnell |
Estazolam | Prosom® | 2 | 8-28 | schnell |
Flurazepam | Dalmadorm®, Staurodorm®, Dalmane® | 0.5-1 | 2-3 | schnell |
Lorazepam | Temesta®, Ativan®, Tavor®, Tolid® | 2-4; 0.5 (Hund); 12 (Katze) | 10-20; 1 (Hund) | mittelschnell |
Midazolam | Dormicum®, Versed® | 0.28-0.83 | 2.2-6.8 | sehr schnell |
Oxazepam | Adumbran®, Praxiten®, Serax® | 2-4 | 5-20 | langsam |
Quazepam | Doral®, Dormalin® | 1-2 | 41 | schnell |
Temazepam | Planum®, Temazep®, Remestan®, Restoril® | 1.6-2 | 3.5-18.4 | schnell |
Triazolam | Apo-Triazo®, Halcion®, Hypam®, Trilam® | 1-2 | 1.5-5.5 | schnell |
4. Toxisches Prinzip
- | Die Benzodiazepine interagieren mit den Benzodiazepin-Bindungsstelle der GABAA-Rezeptoren, an denen die γ-Aminobuttersäure (GABA) bindet. Die Anbindung der Benzodiazepine erhöht die Affinität von GABA an seiner orthosterischen Bindungsstelle, wodurch der Einstrom der Chlorid-Ionen in die Nervenzelle verstärkt wird, was zu einer geringeren Erregbarkeit der Neuronenmembran führt. |
- | Bei Katzen, die zur Verhaltensmodifikation oral und chronisch Diazepam erhalten, kann es zu einer akuten fulminanten Lebernekrose kommen. Der Mechanismus ist nicht bekannt, könnte aber mit der verminderten Glucuronid-Konjugation und Glutathion-Entgiftung von reaktiven Zwischenprodukten zusammenhängen. |
5. Toxizität bei Labortieren
Die akute orale LD50 ist wie folgt (in mg/kg Körpergewicht):
| Maus | Ratte > |
Alprazolam | 1410-1700 | 1220-3100 |
Chlordiazepoxid | | 300-2000 |
Clonazepam | 2000 | 15000 |
Clorazepat | | 1320 |
Diazepam | 700 | 1200 |
Estazolam | | 2500 |
Flurazepam | 500 | 980 |
Lorazepam | | 4500 |
Midazolam | | 215 |
Oxazepam | 1540 | > 8000 |
Quazepam | > 5000 | > 5000 |
Temazepam | 370 | 2000 |
Triazolam | | > 7500 |
Zolazepam | 512 | 398 |
II. Spezielle Toxikologie - Kleintier
1. Toxizität
Die einmalige Überdosierung ist bei gesunden Tieren selten lebensbedrohlich. Je höher jedoch die eingenommene Dosis ist, desto höher ist das Risiko einer Hypotonie, Hypothermie, eines Koma und von Krampfanfällen. In etwa 40-50% der Fälle kommt es sowohl bei Hunden als auch bei Katzen zu paradoxer Stimulation und Erregung.
- | Diazepam: allgemein: Dosen > 20 mg/kg Körpergewicht gelten als relevant, andere stärkere Benzodiazepine sind toxischer; Hund: LD50 oral 1000 mg/kg Körpergewicht; Katze: die chronische Einnahme von mehr als einer Dosis Diazepam kann lebensbedrohlich sein, da sich eine fulminate Lebernekrose entwickeln kann. |
- | Quazepam: Hund: LD50 oral > 1000 mg/kg Körpergewicht. |
2. Latenz
Die klinischen Sympome treten bei Lorazepam und Oxazepam nach 20-30 Minuten auf.
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| Ataxie, Apathie, Koma; Verwirrung, Desorientierung; Erregung, Aggression; Hypothermie |
|
3.2 | Nervensystem |
| ZNS-Depression; Krampfanfälle |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Salivation (Katzen: Erstickungsgefahr); Katzen: fulminante Lebernekrose |
|
3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Keine Symptome |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Atemdepression |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Hypotonie, Bradykardie |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Keine Symptome |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| Keine Symptome |
|
3.9 | Harntrakt |
| Keine Symptome |
|
3.10 | Haut, Schleimhäute |
| Katze: Ikterus |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Katze: erhöhte Leberenzyme, Koagulopathie, Hypoglykämie |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Keine Symptome |
4. Sektionsbefunde
Keine spezifischen Befunde
5. Weiterführende Untersuchungen
- | Blut- und Urinanalyse zum Ausschluss einer Grunderkrankung. |
- | Schnelltest zum Drogenscreening. |
- | Arzneimittel-Urin- oder Serumkonzentration: geben nur Aufschluss über die Exposition. |
- | Katzen: bei Verdacht auf eine akute Lebernekrose: Gerinnungstests: Prothrombin-Zeit (Quick-Test, PT) und aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT). |
- | Blutgasanalyse: kann bei Patienten mit schweren klinischen Symptomen indiziert sein, um eine Atemdepression zu überwachen. |
6. Differentialdiagnosen
7. Therapie
7.2 | Dekontamination und Elimination |
- | Provozierte Emesis: aufgrund des schnellen Einsetzens von Symptomen ist äusserste Vorsicht geboten. |
- | Sofern guter Schluckreflex: einmalige Verabreichung von Aktivkohle mit einem Laxans, z.B. Carbodote, Trinklösung (24 g Carbo activatus/100 ml) oder Carbovit® (15 g Carbo activatus/100 ml): bei grossen Mengen, wobei das Aspirationsrisiko berücksichtigt werden muss. |
7.3 | Weitere symptomatische Massnahmen |
- | Körpertemperatur und Blutdruck kontrollieren. |
- | Intravenöse Flüssigkeitsgabe, mit einem ausgewogenen Kristalloid, nach Bedarf, zur Behandlung von Hypotonie, Aufrechterhaltung der Durchblutung und Korrektur einer Dehydrierung. |
- | Bei schwerer ZNS- oder Atemdepression kann das Antidot Flumazenil eingesetzt werden, allerdings können durch Flumazenil zentrale Krampfanfälle ausgelöst werden! Die Wirkung tritt i.d.R. innerhalb von 5 Minuten ein. |
| Flumazenil-Dosis: 0.01 mg/kg Körpergewicht i.v. bis zur Wirkung, bei Bedarf wiederholen. Aufgrund der kurzen Wirkungsdauer (1-2 Stunden) können wiederholte Flumazenil-Gaben erforderlich sein. |
Paradoxe Reaktionen (z.B. Unruhe, Aggression)
- | Die Behandlung mit Benzodiazepinen (z.B. Diazepam) ist kontraindiziert! |
- | Es sollte ein alternatives Sedativum oder Anxiolytikum verwendet werden: |
| Acepromazin 0.01-0.1 mg/kg Körpergewicht i.v., s.c., i.m., je nach Bedarf. |
| Dexmedetomidin 1-3 µg/kg Körpergewicht i.v., je nach Bedarf. |
Vorsichtsmassnahmen/Wechselwirkungen
- | Diazepam ist nicht wasserlöslich und die parenterale Formulierung enthält Propylenglykol sowie 10% Ethanol. Die intramuskuläre Injektion ist sehr schmerzhaft und reizend und das Diazepam wird schlecht absorbiert. Eine übermässige Propylenglykol-Exposition bei Katzen kann zur Bildung von Heinz' Körperchen führen. |
Patientenüberwachung
- | Bei übermässig sedierten Patienten sollten der Blutdruck, das EKG, der totale periphere Widerstand (TPR) und der Beatmungsstatus engmaschig überwacht werden. |
8. Erwarteter Verlauf und Prognose
- | Nach der Dekontamination müssen die Tiere in der Regel nur 4-8 Stunden lang überwacht werden. |
- | Wenn keine klinischen Anzeichen auftreten, kann der Patient zu Hause überwacht werden. |
- | Wenn klinische Symptome auftreten, sollten die Tiere überwacht werden, bis die klinischen Symptome abgeklungen sind (typischerweise innerhalb von 8-24 Stunden, je nach Medikament). |
- | Tiere, die nur eine einzige Überdosis eingenommen haben, ist die Prognose ausgezeichnet. |
- | Bei Katzen mit idiosynkratischem Leberversagen infolge wiederholter oraler Diazepam-Dosen ist die Prognose schlecht bis vorsichtig. Aus diesem Grund sollte die orale chronische Anwendung von Benzodiazepinen bei Katzen vermieden werden. |
9. Literatur
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th Edition. Wiley-Blackwell, Hoboken NJ, pp. 39-41, 292-294, 301-303, 378-382, 778-781, 880-885 & 1236-1240
Drugbank online (2024) https://go.drugbank.com/drugs (erfasst am 21.1.2025)
Hovda LR, Brutlag AG, Poppenga RH & Epstein SE (2024) Blackwell's five-minute veterinary consult clinical companion: small animal toxicology, 3rd edition. Wiley Blackwell, pp. 134-138
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SDS Chlordiazepoxide (2023) https://sds.edqm.eu/pdf/SDS/EDQM_201600183_1.0_SDS_DE.pdf?ref=1550175707 (erfasst am 21.1.2025)
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SDS Estazolam (2024) https://cdn.caymanchem.com/cdn/msds/15889m.pdf (erfasst am 21.1.2025)
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SDS Temazepam (2024) https://cdn.caymanchem.com/cdn/msds/15918m.pdf (erfasst am 21.1.2025)
SDS Triazolam (2024) https://cdn.caymanchem.com/cdn/msds/22577m.pdf (erfasst am 21.1.2025)
SDS Zolazepam (2004) https://laboratoriouniversal.com/home/biblioteca/hojas-seguridad/Zoletil%2050%20-%20MSDS.pdf (erfasst am 21.1.2025)