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Salicylate

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Salicylsäure (2-Hydroxybenzoesäure) ist ein Naturprodukt, das in der Rinde verschiedener Weiden vorkommt. Salicylsäure, Natriumsalicylat und Salicylsäurephenylester (Phenylsalicylat) erscheinen als weisse Feststoffe. Acetylsalicylsäure (2-Acetoxybenzoesäure) ist eine schwache Säure (pKa = 3.5), die in Form weisser und geruchloser Kristalle vorliegt. Ein Gramm Acetylsalicylsäure löst sich bei Raumtemperatur in 300 ml Wasser. Salicylsäure-2-hydroxyethylester und Salicylsäuremethylester (Methylsalicylat, Wintergrünöl) liegen als farblose Flüssigkeiten vor.
 

2. Quellen

Viele Salben enthalten Salicylsäure oder Derivate der Salicylsäure. Acetylsalicylsäure ist vor allem in Form von Tabletten als nichtsteroidales Antiphlogistikum im Handel, wobei die meisten Präparate nur eine Zulassung für die Humanmedizin besitzen. Die bekannteste Spezialität ist Aspirin, aber es existieren zahlreiche weitere Hersteller und Präparatenamen. Acetylsalicylsäure ist auch Bestandteil vieler Kombinationspräparate. Bei landwirtschaftlichen Nutztieren wird Acetylsalicylsäure als Granulat eingesetzt.
 

3. Kinetik

3.1Orale Resorption
Nach oraler Aufnahme erfolgt eine schnelle Resorption aus dem Magen und aus den vorderen Dünndarmabschnitten. Bei Wiederkäuern ist die Resorption aus dem Pansen verzögert. Die orale Bioverfügbarkeit schwankt bei allen Spezies zwischen 50 und 75%. Bei niedrigem pH-Wert im Magen liegt der Wirkstoff zu einem grösseren Teil in nicht ionisierter Form vor, vomit die Resorption beschleunigt wird. Die höchsten Plasmaspiegel werden beim Hund 2-4 Stunden nach oraler Verabreichung der therapeutischen Dosis erreicht. Beim Schwein und Kaninchen ist die maximale Plasmakonzentration nach etwa 7 Stunden erreicht. Im Fall einer Vergiftung verzögert Acetylsalicylsäure die Magenentleerung, was zu verlängerten Resorptionszeiten führt. Daher steigen im Vergiftungsfall die Plasmaspiegel bis zu 12 Stunden nach der Ingestion an.
 
3.2Dermale Resorption
Die transkutane Resorption der Substanz aus Salbenpräparationen erfolgt nahezu vollständig.
 
3.3Verteilung
Nach der Resorption wird Acetylsalicylsäure innerhalb von Minuten zu Salicylsäure deacetyliert. Salicylsäure ist relativ stark an Plasmaproteine gebunden (je nach Spezies 54% bis 70% Proteinbindung). Das Verteilungsvolumen liegt bei 0.2-0.3 L/kg Körpergewicht. Da nur der nicht ionisierte Anteil der Substanz biologische Membranen überschreiten kann, ist die Gewebsverteilung, insbesondere auch die Penetration ins ZNS, durch einen erniedrigten pH-Wert des Blutes begünstigt.
 
3.4Elimination
Salicylsäure wird überwiegend nach Kopplung an Glycin oder Glucuronsäure renal ausgeschieden. Unveränderte Salicylsäure wird im Urin nur in sehr geringer Mengen vorgefunden, bei Vergiftungen steigt jedoch der Anteil der unveränderten Salicylsäure im Urin an. Auch die Plasmahalbwertszeit nimmt mit steigender Dosis zu (Sättigungskinetik), daher sind bei Vergiftungen die Eliminationszeiten bedeutend verlängert. Nach einer Dosis von 25 mg/kg p.o. beträgt die Halbwertszeit beim Hund etwa 8 Stunden und bei der Katze 38-45 Stunden. Bei anderen Spezies ist die Plasmahalbwertszeit nach Verabreichung therapeutischer Dosen wie folgt: 1-4 Stunden beim Pferd und Ziege und 6-10 Stunden beim Schwein. Beim Rind beträgt die Halbwertszeit von Salicylsäure nach i.v. Applikation 30 Minuten, nach oraler Applikation aufgrund von verzögerter Resorption jedoch 3-7 Stunden. Diese Speziesabhängigkeiten erklären sich durch Unterschiede in der Konjugationsrate sowie im Harn-pH zwischen Herbivoren und Carnivoren. Die lange Halbwertszeit bei der Katze beruht auf der schlechten Glucuronidierungsfähigkeit. Im alkalischen Harn ist der Anteil der dissozierten, nicht rückresorbierbaren Salicylsäure erhöht.
 

4. Toxisches Prinzip

Salicylsäure wirkt analgetisch, antipyretisch und antiphlogistisch. Ferner hemmt Salicylsäure die Thrombozytenaggregation. Verschiedene Mechanismen spielen eine Rolle bei der Ausprägung der toxischen Symptome.
 
4.1Lokale Reizungen und Irritationen
entstehen aufgrund des ätzenden Säurecharakters der Substanz, der sich mit der Fällung von Zellproteinen manifestiert. Salicylsäure ist stärker gewebsschädigend als Acetylsalicylsäure.
 
4.2Systemisch bedeutender
ist die Interaktion der Salicylsäure mit der Prostaglandinsynthese, wobei die Salicylsäure eine identische Wirkungsstärke aufweist wie Acetylsalicylsäure. Beide Substanzen hemmen die Cyclooxygenase, die für die Umwandlung der Arachidonsäure in Prostaglandine verantwortlich ist. Aufgrund verminderter Synthese von Prostaglandin E2 kommt es zum Verlust der cytoprotektiven Wirkung, was Läsionen und Ulcerationen der Magen-Darm-Schleimhaut provoziert. Die Blutgerinnung wird durch verminderte Plättchenaggregation (Hemmung der Bildung von Thromboxan A2) herabgesetzt.
 
4.3In hohen Dosen
wirkt Acetylsalicylsäure zudem direkt stimulierend auf das Atemzentrum, was die Ausbildung einer respiratorischen Alkalose aufgrund von Hyperpnoe verursacht. Bei längerer Verabreichung hoher Dosen schlägt diese respiratorische Alkalose in eine metabolische Azidose um.
 
4.4Bei Katzen
werden auch Nierenschäden als weitere Folge der Acetylsalicylsäure-Applikation genannt. Möglich sind auch hepatotoxische Reaktionen, Enzephalopathie mit Gehirnödem, Lungenödem sowie Knochenmarkdepression.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Akute, orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):

 MausRatteKaninchenHuhn
Acetylsalicylsäure1'2501'5001'010-1'800 
p-Aminosalicylsäure4'000   
Benorylat2'00010'000  
Cholinsalicylat2'690   
Diflunisal439392603 
Fendosal740450  
Natriumsalicylat 930  
Physostigminsalicylat2.5   
Salicylamid300-1'400980  
Salicylsäure1'312400-891  
Salicylsäuredihydrogenphosphat (Fosfosal)1'455-2'0071'104-2'225  
Salicylsäure-2-hydroxyethylester 1'380  
Salicylsäuremethylester 887  
Salicylsäureethylester 1'320  
Salicylsäurephenylester 3'000  
Sulfasalazin1'250   
 
Bei Hamster und Meerschwein liegen die akuten oralen LD50-Werte von Acetylsalicylsäure bei 3'500 und 1'075 mg/kg. Für folgende Derivate der Salicylsäure wurden keine orale LD50-Werte gefunden: Acetaminosalol, Aloxiprin, Bismuth-Subsalicylat, Carbaspirin, Glysal, Homosalat, Mesalamin (= m-Aminosalicylsäure), Salsalat, Thiosalicylsäure.
 

II. Spezielle Toxikologie - Kleintier

1. Toxizität

1.1Die empfohlene orale Dosierung
von Acetylsalicylsäure beträgt für den Hund 10-25 mg/kg Körpergewicht alle 8-12 Stunden, für die Katze 5-25 mg/kg 1x täglich.
 
1.2Minimale toxische Dosis
der Acetylsalicylsäure (oral): 50 mg/kg 3x täglich beim Hund, 25 mg/kg 2x täglich bei der Katze.
 
1.3Akute, orale LD50
700 mg/kg beim Hund
 
1.4Gleichzeitige Verabreichung
von Arzneimitteln mit hoher Plasmaproteinbindung potenziert die Toxizität von Acetylsalicylsäure.
 

2. Latenz

Die ersten Symptome (vor allem Erbrechen) treten 4-6 Stunden nach oraler Aufnahme von Acetylsalicylsäure auf.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Apathie, Depression, Anorexie, Ataxie, Hyperthermie, in späteren Stadien ist auch Hypothermie möglich, evtl. sogar Koma oder Schock, wenn es zur Perforationen im Magen-Darm-Trakt kommen sollte.
  
3.2Nervensystem
In späteren Stadien kann ein Gehirnödem entstehen, das zu Tremor und generalisierten Krampfanfällen oder Muskelschwäche führen kann.
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Erbrechen, Magenblutungen
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Durchfall oder Meläna, schmerzhaftes Abdomen
  
3.5Respirationstrakt
Tachypnoe (Hyperventilation), Dyspnoe wegen Lungenödem
  
3.6Herz, Kreislauf
Tachykardie
  
3.7Bewegungsapparat
Keine Symptome
  
3.8Augen, Augenlider
Keine Symptome
  
3.9Harntrakt
Keine Symptome
  
3.10Fell, Haut, Schleimhäute
Ikterus als Zeichen einer toxischen Hepatitis
  
3.11Blut und Blutbildung
Anämie, gastrointestinale Blutungen
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Keine Symptome
 

4. Sektionsbefunde

Schleimhautirritationen, -erosionen und -ulcera im Magen-Darm-Trakt, eventuell Perforationen; Lebervergrösserung; Blutungen in die serösen Häute; Knochenmarksdepression.
 

5. Weiterführende Diagnostik

5.1Direkter Nachweis
-Nachweis der Salicylsäure in Serum oder Harn (Farbreaktion nach Trinder).
 
5.2Veränderte Laborwerte
-Blutchemie: Anfangs respiratorische Alkalose, später metabolische Acidose, Hypokaliämie, Hypoproteinämie, Leberenzymaktivität im Serum. (Aspart-Aminotransferase/AST, Alanin-Aminotransferase/ALT, γ-Glutamyltransferase/GGT, alkalische Phosphatase/AP).
-Differentialblutbild: Hämatokrit erniedrigt, Leukopenie, Thrombozytopenie.
-Mikroskopisches Blutbild: Erythrozyten mit Heinz-Körperchen (Katze), basophile Tüpfelung der Erythrozyten.
-Gerinnungsparameter: Verlängerte Blutungszeit.
 

6. Differentialdiagnosen

-Andere Koagulopathien, zum Beispiel Vergiftung mit Coumarinderivaten, Malabsorptionssyndrom, Verbrauchskoagulopathie, Thrombozytopenie, hämorrhagische Gastroenteritis.
-Lebererkrankungen
-Vergiftung mit Lösungsmitteln, Aflatoxinen.
 

7. Therapie

Acetylsalicylsäure absetzen.
 
7.1Notfallmassnahmen
-Kreislauf stabilisieren, Bluttransfusion, wenn der Hämatokrit unter 20% gesunken ist.
-Atmung stabilisieren
-Krämpfe kontrollieren
-Behandlung eines eventuell vorhandenen Hirnödems.
 
7.2Dekontamination:
-Emesis
-Wiederholte Verabreichung von Aktivkohle.
 
7.3Forcierte Ausscheidung:
-Diurese.
-Alkalinisierung des Harnes nach pH- Messung, Voraussetzung: gute Nierenfunktion.
 
7.4Antidot:
-Misoprostol (synthetisches Prostaglandin E2), 1-5 µg/kg 2-3mal täglich p.o. bei Hunden.
 
7.5Weitere symptomatische Massnahmen
-Aufhebung der Azidose: Ringerlaktatinfusion oder Bicarbonatinfusion; die Behandlung der Azidose ist besonders wichtig, weil ein tiefer pH des Blutes die Gewebspenetration der Salicylsäure fördert.
-Regulierung der Körpertemperatur: Behandlung der Hyperthermie.
-Schutz der Magenschleimhaut: Ranitidin, Omeprazol und Sucralfat; Vergleichende Studien habe gezeigt, dass Ranitidin eine bessere Schutzwirkung entfaltet als Cimetidin.
-Antiemetika: sofern das Erbrechen auch nach längerer Zeit anhält Metoclopramid oder Domperidon.
-Bei Perforation des Magen-Darm-Trakts: Chirurgische Massnahmen, die teilweise auch endoskopisch vorgenommen werden können. Sehr wichtig ist dabei eine gründliche Spülung des Peritonealraums mit steriler Kochsalzlösung.
-Antibiotische Versorgung: Breitspektrumantibiotika.
 

8. Fallbeispiele

8.1Eine Katze (17 Jahre, weiblich, kastriert, 3 kg) hat etwa 500 mg eines Pulvers mit unbekanntem Anteil von Acetylsalicylsäure aufgenommen.
Symptome: Unruhe, Mydriasis, Dyspnoe, Zyanose.
Therapie: Diazepam, Dexamethason.
Verlauf: Exitus
(Tox Info Suisse).
  
8.2Ein Hund (Greyhound, 13 Jahre, 25 kg) ist an 3 aufeinanderfolgenden Tagen mit Aspirin behandelt worden. Dosierung: 325 mg/Tag.
Symptome: Hypovolämischer Schock, Hämatemesis, blutiger Durchfall
Therapie: Bluttransfusion, symptomatische Behandlung mit Infusionen und Antibiotika
Verlauf: Der Hund wird nicht wieder vorgestellt
(Shaw et al, 1997).
 

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