Wirkstoff - Toxikologie
Coumafos

Anwendungsicherheit

Coumafos verfügt nur über eine geringe Verträglichkeit. Die therapeutische Breite ist sehr klein. Besonders bei Schafen und Pferden besitzt Coumafos eine erhöhte Toxizität (Ungemach 1994b). Auch junge, geschwächte oder gestresste Tiere, Katzen, bestimmte Hunderassen (Greyhounds, Windhunde), Vögel (z.B.Gänse), Fische und Bienen sind sehr empfindlich (Ungemach 1994b; Van Miert 1994a).
 
Die Toxizität der Organophosphate wird durch die Formulierungszusatzstoffe, insbesondere die organischen Lösungsmittel beeinflusst. Hierbei spielen die Transmitter- oder Carrierfunktionen (Transportgeschwindigkeit durch die Haut oder Schleimhaut) dieser Stoffe eine Rolle.
 
Auch das Vorhandensein weiterer chemischer Verbindungen im Körper kann die Toxizität der Organophosphate verändern. Zwei Organophosphate können im Organismus sowohl als Synergisten wirken (z.B. Malathion und Trichlorfon), als auch antagonistisch reagieren (Malathion und Parathion).
 
Auch Arzneimittel mit esterasesenkender Wirkung (z.B. Succinylcholin, Phenothiazine, Procaine) und Arzneimittel mit neuromuskulären Angriffsort (z.B. Anästhetika, Magnesiumionen) können die Toxizität von Organophosphaten erhöhen (Kühnert 1991a).
 

Akute Toxizität

Eine akute Organophosphatintoxikation wird durch die irreversible Hemmung des Enzyms Acetylcholinesterase verursacht. Organophosphate blockieren die Acetylcholinesterase durch Phosphorylierung an der esteratischen Gruppe. Das gebildete Phosphorylenzym blockiert die Kopplung von Enzym und Acetylcholin und damit die biokatalytische Spaltung durch die Esterase. In der Folge findet eine Anreicherung von Acetylcholin an neuromuskulären Verbindungstellen, den parasympathischen postganglionären Enden der glatten Muskulatur, am Herzmuskel und an den Drüsen, allen autonomen Ganglien und an den cholinergen Synapsen im Zentralnervensystem statt. Damit sind alle muskarin- und nikotinartigen cholinergen Rezeptoren übererregt, es kommt zu unkontrollierten und für den Organismus dysphysiologischen Organreaktionen (Hass 1970a; Kühnert 1991a).
 

Toxische Dosen

Dosen zwischen 8 - 20 mg/kg verursachen bei Schafen Intoxikationssymptome, 25 mg/kg sind letal. Fünf tägliche Dosen von 4 mg/kg sind ebenfalls letal (Silvestri 1975a).
 
Toxische Erscheinungen können bei Kälbern ab 10 mg/kg p.o. und bei Rindern ab 25 mg/kg p.o. beobachtet werden (Ungemach 1994b).
 

LD50

Ratte:oral 90 - 110 mg/kg (Blagburn 1995a).
 

Symptome der Coumafosintoxikation

Die Vergiftung verläuft nach der Giftaufnahme im allgemeinen perakut bis akut, chronische Vergiftungen sind selten. Nach oraler Aufnahme werden die Organophosphate vom Magen schnell resorbiert, sodass klinische Symptome schon wenige Minuten bis 2 Stunden nach der Aufnahme auftreten. Auch nach dermalem Kontakt treten die Krankheitsbilder schnell auf, der Vergiftungsverlauf ist rasch und dramatisch. Werden die ersten 24 - 48 Stunden überlebt, verbessert sich die Prognose (Kühnert 1991a).
 
Die Symptomatik kann sowohl durch muskarinartige, nikotinartige oder zentralnervöse Effekte bestimmt sein (Blagburn 1995a). Zu Beginn kommt es zur Stimulation der muskarinartigen Rezeptoren, bald darauf sind auch die nikotinartigen Rezeptoren an den vegetativen Ganglien und den motorischen Endplatten übererregt. Nach dem Passieren der Blut-Hirn-Schranke erfolgt eine Erregung zentraler Cholinozeptoren.
 

Stimulation der muskarinartigen Rezeptoren an parasympathischen Nervenendigungen

Exokrine Drüsen:Salivation, Lakrimation, Schwitzen
Augen:Miosis (beim Schwein Nystagmus), injizierte Konjunktivalgefässe
Gastrointestinaltrakt:Übelkeit, Erbrechen (besonders beim Hund), Diarrhoe, Tenesmus, fäkale Inkontinenz
Respirationsapparat:Bronchokonstriktion, Bronchospasmus, Husten, Bradypnoe, Dyspnoe
Kardiovaskuläres System:Bradykardie, Blutdruckabfall
Blase:frequenter Harnabsatz (Kühnert 1991a; Adam 1987a; Silvestri 1975a).
 

Stimulation nikotinartiger Rezeptoren an vegetativen Ganglien und motorischen Endplatten

Muskulatur:Unruhe, später Depression, Tremor, Ataxie, Muskelsteife, generalisierte Muskelzuckungen und schliesslich Paralyse (Blagburn 1995a; Adam 1987a).
 

Stimulation der Acetylcholinrezeptoren im Gehirn

ZNS:Nach dem Passieren der Blut-Hirnschranke und Erregung zentraler Cholinozeptoren kommt es zu Lethargie, Müdigkeit, Tremor, Krämpfen und Koma mit Atemlähmung (Kühnert 1991a; Stanton 1979a; Adam 1987a).
 
Der Tod tritt infolge einer, durch Lähmung der Atemmuskulatur, Hemmung des Atemzentrums und gesteigerte Bronchokonstriktion und -sekretion hervorgerufenen Dyspnoe ein (Kühnert 1991a; Adam 1987a).
 

Diagnose

Die Gesamtblut-Acetylcholinesteraseaktivität ist ein wichtiger Parameter für eine Organophosphatvergiftung. Ein Absinken unter 25% des Normalwertes, weist auf die Wirkung eines Acetylcholinesterase-Hemmers hin, allerdings nicht spezifisch für ein Organophosphat (Kühnert 1991a).
 

Therapie / Antidote

Da die Hemmung der Acetylcholinesterase durch Alkylphosphate nahezu irreversibel ist, muss die esteratische Aktivität grösstenteils durch Neusynthese wiederhergestellt werden, was entsprechend lange Zeiträume in Anspruch nimmt (Adam 1987a). Eine völlige Erholung ist von der Schwere des Vergiftungsfalles abhängig und verläuft über mehrere Tage bzw. Wochen (Kühnert 1991a).
 
Das bevorzugte Antidot für die akuten, lebensbedrohlichen, muskarinartigen Symptome ist Atropin (parasympatholytisch). Es antagonisiert kompetitiv die Wirkung von Acetylcholin an den muskarinartigen Rezeptoren im autonomen Nervensystem und auch an nicht definierten Rezeptoren des ZNS (Douglas 1952a).
 
Dosierung (ein Drittel intravenös, den Rest subkutan):
-Rind:0,6 mg/kg
-Schaf:1,0 mg/kg
-Pferd:0,1 mg/kg
-Hund:0,3 mg/kg
-Katze:0,3 mg/kg
 
Eine wirksame Atropinisierung ist erreicht, wenn die Pupillen dilatieren und die Salivation sistiert; Wiederholung falls nötig alle 4 - 6 Stunden bis maximal 6 mg/kg Totaldosis erreicht sind (Kühnert 1991a; Adam 1987a).
 
Darüberhinaus ist der Einsatz kausaler Antidote mit Eingriff in den toxischen Wirkungsmechanismus der Organophosphate möglich. Mit Pralidoxim und Obidoxim kann die Cholinesterase durch Ablösen des Alkylphosphates und Dephosphorylierung des Enzyms reaktiviert werden. Dies ist jedoch nur bis maximal 24 h nach der Giftaufnahme möglich und sollte nur 1 - 2 mal wiederholt werden. Obidoxim oder Pralidoxim sollten erst nach Atropingabe verabreicht werden. Die Dosierung für Obidoxim ist 2 - 5 mg/kg i.v. (evtl. auch i.m.), für Pralidoxim 20 - 100 mg/kg. Wiederholung frühestens nach 20 min, in der Regel nach 2 Stunden.
CAVE: Obidoxim selbst kann auch Cholinesterasen hemmen ! (Kühnert 1991a; Adam 1987a; Ungemach 1994b).
 
Als weitere symptomatische Therapiemassnahmen sind nötig:
  1.Aufrechterhaltung der Atmung (Absaugen des Bronchialsekretes und Beatmung)
  2.Bei oraler Aufnahme Giftentfernung durch Emesis oder Magenspülung, Aktivkohle, Glaubersalz oder neutrales Mineralöl
  3.Bei Aufnahme über die Haut Waschbehandlung mit wässriger, alkalischer, detergenzienhaltiger Lösung
  4.Bei zentralnervöser Symptomatik Diphenhydraminhydrochlorid: 4 mg/kg i.v. (Hund) oder i.m. (Hund oder Katze) alle 8 Stunden bis zum Verschwinden der Symptome. Bei einsetzender Depression Dosis auf 1 - 2 mg/kg senken (Blagburn 1995a).
  5.Azidose- und Krampfbehandlung (Ungemach 1994b).
  6.Elektrolyt- und Multivitamingaben zur Unterstützung des Leberstoffwechsels (Kühnert 1991a; Adam 1987a; Ungemach 1994b)
 

Chronische Toxizität

Bei Überleben einer akuten Vergiftung können neurotoxische Folgeschäden auftreten. Diese manifestieren sich als Muskelschwäche und Ataxie, besonders an den Hintergliedmassen. Je nach Organophosphatverbindung kann dieser Zustand irreversibel sein oder es kommt langsam, über Wochen, zur Regeneration.
 
Auch eine andauernde starke Hemmung der Cholinesterasen durch Organophosphate führt zu degenerativen Veränderungen an den Nervenachsen (Demyelinisierung), beginnend an den peripheren motorischen Bahnen, über den Spinalstrang zum Hirnstrang fortschreitend (Kühnert 1991a).
 
Eine weitere, ebenfalls verzögerte Neuropathie ist die OPIDN (organophosphate ester-induced delayed neuropathy). 7 - 21 Tage nach Giftkontakt kommt es, insbesondere bei jungen Tieren, zu Schwäche, Ataxie und propriozeptiven Defiziten an den Hintergliedmassen (Richardson 1992a). Experimentell konnte diese Symptomatik bei verschiedenen Spezies, einschliesslich Hunden, Katzen, Kaninchen und Meerschweinchen, hervorgerufen werden (Johnson 1975a).
 

Reproduktion

Organophosphate sind nicht teratogen. Bei Schweinen wurden jedoch nach Verabreichung in der späteren Trächtigkeit verschiedene Fruchtschäden beobachtet. Ausserdem besteht in der Spätträchtigkeit erhöhte Abortgefahr (Ungemach 1994b).
 

Umwelttoxizität

Organophosphate sind in der Umwelt nur wenig persistent. Die Fisch- und Bienentoxizität ist unterschiedlich. Coumafos besitzt relativ geringe Fisch- und Bienentoxizität (Ungemach 1994b).