2. Quellen
In der Tiermedizin werden Alpha-2-Agonisten häufig zur Sedierung, Analgesie und Muskelentspannung eingesetzt und um den Bedarf an Narkosemitteln zu verringern.
In der Humanmedizin werden Alpha-2-Agonisten bei Bluthochdruck, Glaukom, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Unruhezuständen im Zusammenhang mit Schizophrenie oder bipolarer Störung I oder II bei Erwachsenen, bei Intoxikation mit Stimulanzien, Entzugserscheinungen von Beruhigungs- und Betäubungsmitteln und bei der Raucherentwöhnung eingesetzt.
Die Alpha-2-Agonisten sind als Injektionsmittel, Tabletten, transdermale Pflaster, topische und oromukosale Gele, sublinguale Filme und ophthalmische Lösungen erhältlich.
3. Kinetik
Alpha-Agonisten werden auf allen Routen, auch über die Maulschleimhaut, gut und rasch resorbiert, was zu einem raschen Einsetzen der klinischen Symptome führt. Sie verteilen sich in fast allen Organen des Körpers, vor allem im ZNS. In der Leber werden sie zu inaktiven Metaboliten verstoffwechselt und primär über den Urin ausgeschieden.
Die Halbwertszeiten variieren je nach Wirkstoff und Formulierung:
Wirkstoff | Halbwertszeit |
Xylazin | 30 Minuten (Hunde, Katze) |
Clonidin | > 12 Stunden |
Clonidin transdermal | bis 19 Stunden |
Dexmedetomidin intravenös | 40-60 Minuten (Hunde, Katze) |
Dexmedetomidin-Gel oromukosal | 0.5-3.0 Stunden |
Die Selektivitätsverhältnisse für die Rezeptoren alpha-2:alpha-1 sind wie folgt: Xylazin 160:1; Clonidin 220:1; Detomidin 260:1; Romifidin 340:1; Brimonidin 1000:1; Dexmedetomidin/Medetomidin 1620:1.
4. Toxisches Prinzip
Zu den Alpha-2-Agonisten gehören auch die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin, die jedoch auch andere Adrenozeptoren stimulieren. Der Agonismus von Adrenalin an den Alpha-2-Rezeptoren führt zu einer Aktivierung der G
i/o-gekoppelten Kaskade in noradrenergen Präsynapsen, was die Ausschüttung des Neurotransmitters Noradrenalin in Kernen wie dem Nucleus tractus solitarii und der Formatio reticularis hemmt. Noradrenalin selbst führt wie Adrenalin zu einer negativen Rückkopplung.
Die klinischen Symptome nach Aktivierung der verschiedenen alpha-Adrenozeptoren sind wie folgt:
- | Alpha-1-Rezeptoren: bewirken Unruhe, Erregung und eine erhöhte Bewegungsaktivität. |
- | Alpha-2a-Rezeptoren: vermitteln eine Sedierung, eine supraspinale Analgesie, Bradykardie und Hypotonie. Sie kommen hauptsächlich im zentralen Nervensystem vor. |
- | Alpha-2b-Rezeptoren: bewirken eine anfängliche Erhöhung des Gefässwiderstands und eine Reflexbradykardie. Sie befinden sich auf der glatten Gefässmuskulatur und haben eine vasopressorische Wirkung. |
- | Alpha-2c-Rezeptoren: führen zu einer Hypothermie. Sie sind hautsächlich im zentralen Nervensystem lokalisiert. |
5. Toxizität bei Labortieren
Die akute orale LD
50 ist wie folgt (in mg/kg Körpergewicht):
| Ratte | Maus |
Brimonidin | 100 | 50 |
Clonidin | 126 | |
Detomidin | 50-300 | |
Dexmedetomidin | 440 | |
Medetomidin | 31 | |
Romifidin | 100 | |
Xylazin | 130 | |
II. Spezielle Toxikologie - Kleintier
1. Toxizität
- | Die Intensität und Dauer der Wirkung ist dosisabhängig. |
- | Brimonidin-Augenlösung, TD Hund oral: bereits geringe Mengen verursachen Hypotonie und Bradykardie. |
- | Clonidin, TD Hund oral: bereits 0.01 mg/kg Körpergewicht bewirken Lethargie, Ataxie und Bradykardie. |
2. Latenz
- | Die klinischer Symptome treten in der Regel schnell auf. Die Dauer der Symptome hängt vom jeweiligen Wirkstoff ab. Da jedoch alle leicht reversibel sind, dauern die Symptome in der Regel nur so lange an, bis ein Alpha-2-Antagonist, z.B. Atipamezol, verabreicht wird. |
3. Symptome
3.1 | Allgemeinzustand, Verhalten |
| ZNS-Depression (Sedierung), Aggression (selten); Hypothermie |
|
3.2 | Nervensystem |
| Muskelentspannung, Analgesie; selten: Muskelzuckungen, zentrale Krampfanfälle |
|
3.3 | Oberer Gastrointestinaltrakt |
| Salivation, Vomitus (häufig unmittelbar nach Verabreichung) |
|
3.4 | Unterer Gastrointestinaltrakt |
| Keine Symptome |
|
3.5 | Respirationstrakt |
| Bradypnoe, Atemdepression bis Atemstillstand |
|
3.6 | Herz, Kreislauf |
| Hypertonie, dann Hypotonie, Reflexbradykardie, AV-Block |
|
3.7 | Bewegungsapparat |
| Keine Symptome |
|
3.8 | Augen, Augenlider |
| Keine Symptome |
|
3.9 | Harntrakt |
| Polyurie |
|
3.10 | Haut, Schleimhäute |
| Blasse oder zyanotische Maulschleimhäute |
|
3.11 | Blut, Blutbildung |
| Hyperglykämie (Hemmung der Insulinfreisetzung) |
|
3.12 | Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation |
| Einige Wirkstoffe, wie Clonidin, passieren die Plazenta und werden in die Milch ausgeschieden |
4. Sektionsbefunde
Leber: dosisabhängige intrazytoplasmatische, eosinophile Einschlüsse bei Hunden, die während 4 Wochen das 2.5-fache und 12.5-fache der empfohlenen klinischen Dosis von Dexmedetomidin erhielten. Bei anderen α2-Adrenozeptoren wurden keine spezifischen Befunde festgestellt.
5. Weiterführende Untersuchungen
- | Blutserumchemie: mögliche Hyperglykämie aufgrund eines verminderten Insulinspiegels, sonst keine signifikanten Veränderungen. |
- | EKG: Sinusbradykardie und AV-Block zweiten Grades. |
- | Blutdruck: Hypertonie gefolgt von Hypotonie. |
6. Differentialdiagnosen
7. Therapie
7.2 | Dekontamination und Elimination |
- | Nach oraler Aufnahme von Brimonidin-Augenlösungen oder Dexmedetomidin-Gelen erfolgt die Resorption i.d.R. bereits über die Maulschleimhaut, weshalb die provozierte Emesis und die Gabe von Aktivkohle nicht indiziert sind. |
- | Provozierte Emesis: wurde das Produkt in Form einer Tablette oder eines Pflasters eingenommen, innerhalb von 15 Minuten, nur bei asymptomatischen Tieren. |
- | Andernfalls kann innerhalb einer Stunde nach der Einnahme eine Magenspülung durchgeführt werden. |
- | Sofern guter Schluckreflex: Verabreichung von Aktivkohle mit einem Laxans, z.B. Carbodote, Trinklösung (24 g Carbo activatus/100 ml) oder Carbovit® (15 g Carbo activatus/100 ml): bei frühzeitiger Verabreichung, nach Einnahme einer Tablette oder eines Pflasters, um die Menge des systemisch resorbierten Wirkstoffs zu verringern, obwohl die Resorption in der Regel schnell erfolgt. |
- | Intravenöse Flüssigkeitsdiurese: zur Verbesserung der Ausscheidung. |
- | Alle Medikamente können mit Alpha-2-Antagonisten schnell und vollständig rückgängig gemacht werden. |
- | Atipamezol ist hochselektiv für Alpha-2-Rezeptoren und verursacht keine signifikante Hypotonie. Es wird als Gegenmittel von Dexmedetomidin vermarktet, kann aber auch für alle anderen Alpha-2-Agonisten eingestezt werden. Die Wirkung sollte innerhalb von 5-10 Minuten eintreten. |
- | Atipamezol sollte i.m. verabreicht werden, da es zu Erregung und Tachykardie führen kann. In Notfallsituationen kann es intravenös verabreicht werden. Dosis nach Dexmedetomidin-Gabe: gleiche Menge Atipamezol wie Dexmedetomidin verabreicht wurde. Dosis bei anderen Alpha-2-Agonisten: 50 µg/kg i.m. |
- | Yohimbin (0.1 mg/kg langsam i.v.) und Tolazolin (4 mg/kg langsam i.v.) antagonisieren neben Alpha-2- auch Alpha-1-Rezeptoren, was eine Hypotonie bewirken kann. |
- | Die Antagonisten sollten unterdosiert werden, da sie zu Erregung, Muskelzittern, Hypotonie, Tachykardie, Speichelfluss und Durchfall führen können und die Analgesie aufheben. |
- | Eine zusätzliche Dosis des Antagonisten kann erforderlich sein, wenn die klinischen Anzeichen erneut auftreten. |
7.4 | Weitere symptomatische Massnahmen |
- | Intravenöse Kristalloide: zur Behandlung der Hypotonie und zur Erhöhung der Urinausscheidung. |
- | Antiemetika: bei Bedarf gegen Nausea und Vomitus. |
- | Überwachung der Körpertemperatur: da Gefahr einer Unterkühlung. |
- | Mechanische Beatmung: bei zu starker Sedierung oder Atemdepression. |
Vorsichtsmassnahmen/Nebenwirkungen
- | In der Regel reicht das Antidot, um eine Bradykardie und Hypotonie zu korrigieren. Bleibt das Tier jedoch stark bradykard und hypotensiv, kann Atropin oder Glycopyrrolat intravenös, vorsichtig bis zur Wirkung, verabreicht werden; es besteht jedoch die Gefahr eines Herzblocks, vorzeitiger ventrikulärer Kontraktionen (PVCs), einer Tachykardie oder von Bluthochdruck. |
Patientenüberwachung
- | Kontinuierliches EKG: oder häufige Überwachung von Herzfrequenz und -rhythmus. |
- | Messung des Blutdrucks. |
- | Blutzuckerspiegel: sollte mindestens täglich kontrolliert werden. |
- | Atemfrequenz und -anstrengung: sollten genau überwacht werden, bis sich das Tier vollständig erholt hat. |
- | Körpertemperatur: muss häufig kontrolliert werden, bis sich das Tier vollständig erholt hat. |
- | Flüssigkeitshaushalt: ist aufgrund des vermehrten Harnabsatzes zu überwachen. |
Mögliche Komplikationen
- | Eine mechanische Beatmung kann zur Unterstützung der Atmung erforderlich sein, wenn das Tier aufgrund einer Atemdepression oder einer zu starken Sedierung eine Hypoventilation entwickelt. |
- | Möglicherweise ängstliches oder aggressives Verhalten bei Tieren, die aus der Sedierung erwachen. |
7.2 | Erwarteter Verlauf und Prognose |
- | Die Prognose für eine Überdosierung von Alpha-2-Agonisten ist bei angemessener Unterstützung und sofortiger Anwendung eines Antidots ausgezeichnet. |
9. Literatur
Hovda LR, Brutlag AG, Poppenga RH & Epstein SE (2024) Blackwell's five-minute veterinary consult clinical companion: small animal toxicology, 3rd edition. Wiley Blackwell, pp. 355-360
SDB Brimonidin (2025) https://go.drugbank.com/drugs/DB00484 (erfasst am 6.5.2025)
SDB Clonidin (2018) https://assets.lgcstandards.com/sys-master%2 Fpdfs%2Fhd9%2Fh44%2F10151523090462%2FSDS_EPC2400000_ST-WB-MSDS-2608370-1-1-1.PDF (erfasst am 6.5.2025)
SDB Detomidin (2024) https://sds.edqm.eu/pdf/SDS/EDQM_201600265_1.0_SDS_EN.pdf?ref=1529583492 (erfasst am 6.5.2025)
SDB Dexmedetomidin (2019) https://moehs.com/wp-content/uploads/2021/07/EN__Dexmedetomidine-hydrochloride145108-58-3_16072021.pdf (erfasst am 6.5.2025)
SDB Medetomidin (2021) https://www.piramalcriticalcare.us/wp-content/uploads/2022/01/Dexmedetomidine-RTU-SDS.pdf (erfasst am 6.5.2025)
SDB Romifidin (2024) https://cdn.caymanchem.com/cdn/msds/36693m.pdf (erfasst am 6.5.2025)
SDB Xylazin (2024) https://www.fishersci.com/store/msds?partNumber=AAJ6143006&productDescription=XYLAZINE+5G&vendorId=VN00024248&countryCode=US&language=en (erfasst am 6.5.2025)