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Alpha-2 Adrenozeptor Agonisten

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Alpha-2-Adrenozeptor-Agonisten (Alpha-2-Agonisten) sind Stoffe, die an Alpha-2-Rezeptoren binden und diese aktivieren. Da eine Hemmung des Sympathikus stattfindet, werden Alpha-2-Agonisten zu den indirekten Sympatholytika gezählt.
Folgende Alpha-2-Agonisten werden in der Tier- und Humanmedizin eingesetzt:
 
WirkstoffIndikation MenschIndikation Tier
BrimonidinGlaukom 
Clonidinarterielle Hypertonie, Migräne, Opioid- und Alkoholabhängigkeit; Glaukom 
Detomidin Sedativum und Analgetikum für Pferd und Rind
DexmedetomidinSedierungSedativum und Analgetikum für Hund und Katze
Guanabenzarterielle Hypertonie 
GuanfacinAufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom 
Moxonidinarterielle Hypertonie 
Romifidin Sedativum
Xylazin Sedativum, Analgetikum und Muskelrelaxans für Rind, Pferd, Hund und Katze
TizanidinMuskelverspannungen, Spastik (MS, ALL), Traumatas 
 
Die Wirkung aller Präparate dieser Klasse wird mithilfe von Alpha-2-Antagonisten schnell und vollständig aufgehoben.
 

2. Quellen

In der Tiermedizin werden Alpha-2-Agonisten häufig zur Sedierung, Analgesie und Muskelentspannung eingesetzt und um den Bedarf an Narkosemitteln zu verringern.
In der Humanmedizin werden Alpha-2-Agonisten bei Bluthochdruck, Glaukom, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Unruhezuständen im Zusammenhang mit Schizophrenie oder bipolarer Störung I oder II bei Erwachsenen, bei Intoxikation mit Stimulanzien, Entzugserscheinungen von Beruhigungs- und Betäubungsmitteln und bei der Raucherentwöhnung eingesetzt.
Die Alpha-2-Agonisten sind als Injektionsmittel, Tabletten, transdermale Pflaster, topische und oromukosale Gele, sublinguale Filme und ophthalmische Lösungen erhältlich.
 

3. Kinetik

Alpha-Agonisten werden auf allen Routen, auch über die Maulschleimhaut, gut und rasch resorbiert, was zu einem raschen Einsetzen der klinischen Symptome führt. Sie verteilen sich in fast allen Organen des Körpers, vor allem im ZNS. In der Leber werden sie zu inaktiven Metaboliten verstoffwechselt und primär über den Urin ausgeschieden.
Die Halbwertszeiten variieren je nach Wirkstoff und Formulierung:
 
WirkstoffHalbwertszeit
Xylazin30 Minuten (Hunde, Katze)
Clonidin> 12 Stunden
Clonidin transdermalbis 19 Stunden
Dexmedetomidin intravenös40-60 Minuten (Hunde, Katze)
Dexmedetomidin-Gel oromukosal0.5-3.0 Stunden
 
Die Selektivitätsverhältnisse für die Rezeptoren alpha-2:alpha-1 sind wie folgt: Xylazin 160:1; Clonidin 220:1; Detomidin 260:1; Romifidin 340:1; Brimonidin 1000:1; Dexmedetomidin/Medetomidin 1620:1.
 

4. Toxisches Prinzip

Zu den Alpha-2-Agonisten gehören auch die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin, die jedoch auch andere Adrenozeptoren stimulieren. Der Agonismus von Adrenalin an den Alpha-2-Rezeptoren führt zu einer Aktivierung der Gi/o-gekoppelten Kaskade in noradrenergen Präsynapsen, was die Ausschüttung des Neurotransmitters Noradrenalin in Kernen wie dem Nucleus tractus solitarii und der Formatio reticularis hemmt. Noradrenalin selbst führt wie Adrenalin zu einer negativen Rückkopplung.
Die klinischen Symptome nach Aktivierung der verschiedenen alpha-Adrenozeptoren sind wie folgt:
-Alpha-1-Rezeptoren: bewirken Unruhe, Erregung und eine erhöhte Bewegungsaktivität.
-Alpha-2a-Rezeptoren: vermitteln eine Sedierung, eine supraspinale Analgesie, Bradykardie und Hypotonie. Sie kommen hauptsächlich im zentralen Nervensystem vor.
-Alpha-2b-Rezeptoren: bewirken eine anfängliche Erhöhung des Gefässwiderstands und eine Reflexbradykardie. Sie befinden sich auf der glatten Gefässmuskulatur und haben eine vasopressorische Wirkung.
-Alpha-2c-Rezeptoren: führen zu einer Hypothermie. Sie sind hautsächlich im zentralen Nervensystem lokalisiert.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Die akute orale LD50 ist wie folgt (in mg/kg Körpergewicht):
 RatteMaus
Brimonidin10050
Clonidin126 
Detomidin50-300 
Dexmedetomidin440 
Medetomidin31 
Romifidin100 
Xylazin130 
 

II. Spezielle Toxikologie - Kleintier

1. Toxizität

-Die Intensität und Dauer der Wirkung ist dosisabhängig.
-Brimonidin-Augenlösung, TD Hund oral: bereits geringe Mengen verursachen Hypotonie und Bradykardie.
-Clonidin, TD Hund oral: bereits 0.01 mg/kg Körpergewicht bewirken Lethargie, Ataxie und Bradykardie.
 

2. Latenz

-Die klinischer Symptome treten in der Regel schnell auf. Die Dauer der Symptome hängt vom jeweiligen Wirkstoff ab. Da jedoch alle leicht reversibel sind, dauern die Symptome in der Regel nur so lange an, bis ein Alpha-2-Antagonist, z.B. Atipamezol, verabreicht wird.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
ZNS-Depression (Sedierung), Aggression (selten); Hypothermie
  
3.2Nervensystem
Muskelentspannung, Analgesie; selten: Muskelzuckungen, zentrale Krampfanfälle
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Salivation, Vomitus (häufig unmittelbar nach Verabreichung)
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Keine Symptome
  
3.5Respirationstrakt
Bradypnoe, Atemdepression bis Atemstillstand
  
3.6Herz, Kreislauf
Hypertonie, dann Hypotonie, Reflexbradykardie, AV-Block
  
3.7Bewegungsapparat
Keine Symptome
  
3.8Augen, Augenlider
Keine Symptome
  
3.9Harntrakt
Polyurie
  
3.10Haut, Schleimhäute
Blasse oder zyanotische Maulschleimhäute
  
3.11Blut, Blutbildung
Hyperglykämie (Hemmung der Insulinfreisetzung)
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Einige Wirkstoffe, wie Clonidin, passieren die Plazenta und werden in die Milch ausgeschieden
 

4. Sektionsbefunde

Leber: dosisabhängige intrazytoplasmatische, eosinophile Einschlüsse bei Hunden, die während 4 Wochen das 2.5-fache und 12.5-fache der empfohlenen klinischen Dosis von Dexmedetomidin erhielten. Bei anderen α2-Adrenozeptoren wurden keine spezifischen Befunde festgestellt.
 

5. Weiterführende Untersuchungen

-Blutserumchemie: mögliche Hyperglykämie aufgrund eines verminderten Insulinspiegels, sonst keine signifikanten Veränderungen.
-EKG: Sinusbradykardie und AV-Block zweiten Grades.
-Blutdruck: Hypertonie gefolgt von Hypotonie.
 

6. Differentialdiagnosen

-Intoxikation mit Betablockern, Calciumkanalblockern, Ivermectin, Marijuana oder Opioiden.
 

7. Therapie

7.1Notfallmassnahmen
-Verabreichung eines Alpha-2-Antagonisten. Es gibt drei verfügbare Antagonisten: Atipamezol, Yohimbin und Tolazolin.
-Kreislauf stabilisieren
-Atmung stabilisieren
-Krämpfe kontrollieren
 
7.2Dekontamination und Elimination
-Nach oraler Aufnahme von Brimonidin-Augenlösungen oder Dexmedetomidin-Gelen erfolgt die Resorption i.d.R. bereits über die Maulschleimhaut, weshalb die provozierte Emesis und die Gabe von Aktivkohle nicht indiziert sind.
-Provozierte Emesis: wurde das Produkt in Form einer Tablette oder eines Pflasters eingenommen, innerhalb von 15 Minuten, nur bei asymptomatischen Tieren.
-Andernfalls kann innerhalb einer Stunde nach der Einnahme eine Magenspülung durchgeführt werden.
-Sofern guter Schluckreflex: Verabreichung von Aktivkohle mit einem Laxans, z.B. Carbodote, Trinklösung (24 g Carbo activatus/100 ml) oder Carbovit® (15 g Carbo activatus/100 ml): bei frühzeitiger Verabreichung, nach Einnahme einer Tablette oder eines Pflasters, um die Menge des systemisch resorbierten Wirkstoffs zu verringern, obwohl die Resorption in der Regel schnell erfolgt.
-Intravenöse Flüssigkeitsdiurese: zur Verbesserung der Ausscheidung.
 
7.3Antidottherapie
-Alle Medikamente können mit Alpha-2-Antagonisten schnell und vollständig rückgängig gemacht werden.
-Atipamezol ist hochselektiv für Alpha-2-Rezeptoren und verursacht keine signifikante Hypotonie. Es wird als Gegenmittel von Dexmedetomidin vermarktet, kann aber auch für alle anderen Alpha-2-Agonisten eingestezt werden. Die Wirkung sollte innerhalb von 5-10 Minuten eintreten.
-Atipamezol sollte i.m. verabreicht werden, da es zu Erregung und Tachykardie führen kann. In Notfallsituationen kann es intravenös verabreicht werden. Dosis nach Dexmedetomidin-Gabe: gleiche Menge Atipamezol wie Dexmedetomidin verabreicht wurde. Dosis bei anderen Alpha-2-Agonisten: 50 µg/kg i.m.
-Yohimbin (0.1 mg/kg langsam i.v.) und Tolazolin (4 mg/kg langsam i.v.) antagonisieren neben Alpha-2- auch Alpha-1-Rezeptoren, was eine Hypotonie bewirken kann.
-Die Antagonisten sollten unterdosiert werden, da sie zu Erregung, Muskelzittern, Hypotonie, Tachykardie, Speichelfluss und Durchfall führen können und die Analgesie aufheben.
-Eine zusätzliche Dosis des Antagonisten kann erforderlich sein, wenn die klinischen Anzeichen erneut auftreten.
 
7.4Weitere symptomatische Massnahmen
-Intravenöse Kristalloide: zur Behandlung der Hypotonie und zur Erhöhung der Urinausscheidung.
-Antiemetika: bei Bedarf gegen Nausea und Vomitus.
-Überwachung der Körpertemperatur: da Gefahr einer Unterkühlung.
-Mechanische Beatmung: bei zu starker Sedierung oder Atemdepression.
 
Vorsichtsmassnahmen/Nebenwirkungen
-In der Regel reicht das Antidot, um eine Bradykardie und Hypotonie zu korrigieren. Bleibt das Tier jedoch stark bradykard und hypotensiv, kann Atropin oder Glycopyrrolat intravenös, vorsichtig bis zur Wirkung, verabreicht werden; es besteht jedoch die Gefahr eines Herzblocks, vorzeitiger ventrikulärer Kontraktionen (PVCs), einer Tachykardie oder von Bluthochdruck.
 
Patientenüberwachung
-Kontinuierliches EKG: oder häufige Überwachung von Herzfrequenz und -rhythmus.
-Messung des Blutdrucks.
-Blutzuckerspiegel: sollte mindestens täglich kontrolliert werden.
-Atemfrequenz und -anstrengung: sollten genau überwacht werden, bis sich das Tier vollständig erholt hat.
-Körpertemperatur: muss häufig kontrolliert werden, bis sich das Tier vollständig erholt hat.
-Flüssigkeitshaushalt: ist aufgrund des vermehrten Harnabsatzes zu überwachen.
 
Mögliche Komplikationen
-Eine mechanische Beatmung kann zur Unterstützung der Atmung erforderlich sein, wenn das Tier aufgrund einer Atemdepression oder einer zu starken Sedierung eine Hypoventilation entwickelt.
-Möglicherweise ängstliches oder aggressives Verhalten bei Tieren, die aus der Sedierung erwachen.
 
7.2Erwarteter Verlauf und Prognose
-Die Prognose für eine Überdosierung von Alpha-2-Agonisten ist bei angemessener Unterstützung und sofortiger Anwendung eines Antidots ausgezeichnet.
 

9. Literatur

Hovda LR, Brutlag AG, Poppenga RH & Epstein SE (2024) Blackwell's five-minute veterinary consult clinical companion: small animal toxicology, 3rd edition. Wiley Blackwell, pp. 355-360
 
SDB Brimonidin (2025) https://go.drugbank.com/drugs/DB00484 (erfasst am 6.5.2025)
 
SDB Clonidin (2018) https://assets.lgcstandards.com/sys-master%2 Fpdfs%2Fhd9%2Fh44%2F10151523090462%2FSDS_EPC2400000_ST-WB-MSDS-2608370-1-1-1.PDF (erfasst am 6.5.2025)
 
SDB Detomidin (2024) https://sds.edqm.eu/pdf/SDS/EDQM_201600265_1.0_SDS_EN.pdf?ref=1529583492 (erfasst am 6.5.2025)
 
SDB Dexmedetomidin (2019) https://moehs.com/wp-content/uploads/2021/07/EN__Dexmedetomidine-hydrochloride145108-58-3_16072021.pdf (erfasst am 6.5.2025)
 
SDB Medetomidin (2021) https://www.piramalcriticalcare.us/wp-content/uploads/2022/01/Dexmedetomidine-RTU-SDS.pdf (erfasst am 6.5.2025)
 
SDB Romifidin (2024) https://cdn.caymanchem.com/cdn/msds/36693m.pdf (erfasst am 6.5.2025)
 
SDB Xylazin (2024) https://www.fishersci.com/store/msds?partNumber=AAJ6143006&productDescription=XYLAZINE+5G&vendorId=VN00024248&countryCode=US&language=en (erfasst am 6.5.2025)
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