Wirkungsort / Wirkungsmechanismus
Die Wirksamkeit der Polymyxine gegen gramnegative Bakterien kann nur durch die spezifische Struktur der Zelloberfläche dieser Gruppe erklärt werden (
Teuber 1976a). Antibiotika dieser Gruppe üben ihre antibiotische Wirkung durch Bindung an saure Phospholipide der Zellwand und Membranen der gramnegativen Bakterien aus (
Newton 1956a). Die meisten Untersuchungen bezüglich des Wirkungsmechanismus der Polymyxine wurden mit
Polymyxin B durchgeführt, welches als Modellsubstanz der Polymyxine betrachtet wird (
Li 2005c). Viele Autoren extrapolieren, dass
Colistin, mit seinem ähnlichen Aufbau, den gleichen Wirkungsmechanismus aufweist (
Storm 1977a;
McEvoy 1992a).
Polymyxine sind kationische, oberflächenaktive Wirkstoffe, welche die äussere Struktur der Membran gramnegativer Bakterien (
Newton 1956a) durch Bindung an Lipopolysaccharide (LPS, Endotoxin), über direkte Interaktion mit der anionischen Lipid A-Gegend, zerstören (
Dowling 2006b). Der genaue Bindungsmechanismus zwischen den Polymyxinen und LPS ist nicht bekannt (
Warren 1985a). Gewisse Studien weisen darauf hin, dass die Bindung sowohl ionischer wie auch hydrophober Natur ist (
Morrison 1976a). Andere Versuchsergebnisse zeigen, dass die Bindung auch ohne den hydrophoben Teil des Polymyxin-Moleküls stattfinden kann, obschon es möglich ist, dass dann die Bindungsaffinität tiefer ist (
Warren 1985a). Vermutlich kommt die Bindung der Polymyxin-Antibiotika an die Bakterienzelle durch das Vorhandensein von 5 freien Aminogruppen zustande, welche über elektrostatische Anziehung an die negativ geladenen Phospholipidmembranen binden (
Folkesson 2008a). Kalzium und Magnesium verdrängen Polymyxine kompetitiv aus dieser Bindung (
Newton 1956a). Durch die Bindung des Wirkstoffes wird die Membranpermeabilität, durch eine Detergens-ähnliche Wirkung, erhöht (
Dowling 2006b;
Hancock 1999a;
Nord 1964a;
Li 2001a) und Zellinhaltsstoffe, hauptsächlich Purine und Pyrimidine, treten aus der Zelle aus (
Jawetz 1961a). Das osmotische Gleichgewicht der Zellen wird dann nicht mehr aufrechterhalten (
Newton 1956a) und als Folge kommt es zum Zelltod (
Storm 1977a;
Hancock 1999a).
3 Hauptkomponenten sind verantwortlich für die bakterizide Wirkung: der Fettsäureschwanz, die positiv geladenen Aminosäuren sowie der Peptidring. Der Verlust einer dieser Strukturen führt zum Ausbleiben der bakteriziden Wirkung (
Lewis 2004a). Die bakterizide Eigenschaft kann durch Änderung der Fettsäurekettenlänge, durch Reduktion der Länge der geladenen Seitenkette sowie durch eine Änderung der Aminosäurezusammensetzung der hydrophoben Domäne, herabgesetzt werden (
Tsubery 2000a). Polymyxine binden stark an Nukleinsäuren, aber da das Antibiotikum schlecht in die Zellen gelangt, ist dies wahrscheinlich nicht von Bedeutung (
Feingold 1974a).
Die Konjugation von mehr als einer freien Aminogruppe der Polymyxine mit Formaldehyd sowie Natriumbisulfit bewirkt keinen vollständigen Verlust der Wirksamkeit. Hingegen resultiert aus einer kompletten Substitution der 5 Aminogruppen ein vollständiger Verlust der Wirksamkeit. Auch die Azetylierung von mehr als einer freien Aminogruppe führt zu einem vollständigen Wirkungsverlust (
Barnett 1964a;
al-Khayyat 1973c).
Aufnahme in gramnegativen Bakterien
Bezüglich der Aufnahme von Antibiotika durch die äussere Membran der gramnegativen Bakterien werden 3 generelle Mechanismen beschrieben:
1) | Hydrophiler Aufnahmeweg: passive Diffusion kleiner hydrophiler Antibiotika durch die wassergefüllten Poren der Porin-Proteine |
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2) | Hydrophobischer Aufnahmeweg: Aufspaltung des äusseren Membranbilayers gewisser Neisseria spp. durch hydrophobe Antibiotika (Hancock 1984a). Allerdings hat Nikaido gezeigt, dass die meisten gramnegativen Bakterien keinen hydrophoben Aufnahmeweg besitzen und sehr resistent gegenüber hydrophoben Antibiotika sind (Nikaido 1976a) |
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3) | Nicht-kovalente Interaktion von polykationischen Antibiotika mit dem Mg2+, welches benachbarte Lipopolysaccharid-Moleküle überbrückt, an der äusseren Membran (Hancock 1984a). Dieser Aufnahme-Mechanismus beginnt, sobald das Polykation an divalente Kationen-Bindungsstellen von LPS-Molekülen der äusseren Membran bindet, und die divalenten Kationen kompetitiv verdrängt. Dies führt zu einer Destabilisierung der äusseren Membran und zur anschliessenden verbesserten Aufnahme des interagierenden Polykations (Piers 1994b). Diese Hypothese wird unterstützt durch die Tatsache, dass Polymyxin B eine hohe Affinität für LPS aufweist (Moore 1986c) und in der Lage ist, die äussere Membran zu permeabilisieren (Hancock 1984a). |
Shai-Matsuzaki-Huang-Modell (SMH)
Als allgemeines Modell der Wirkung antimikrobieller Peptide gilt das SMH-Modell. Dieses basiert auf einer Interaktion der Peptide mit der Membran. Diese Interaktion führt zu einer Verdrängung sowie einer Veränderung der Membranstruktur. Peptide, welche mittels des SMH-Mechanismus wirken, können Bakterien schon bei mikromolaren Konzentrationen abtöten und z.T. in die Zelle eindringen. Das SMH-Modell basiert auf folgenden Hypothesen:
- | Depolarisierung der Bakterienmembran |
- | Bildung von Löchern, welche zu einem Austritt des Bakterieninhalts führen |
- | Aktivierung von Prozessen, welche zum Tode führen, wie z.B. die Induktion von Hydrolasen, welche die Bakterienwand zerstören |
- | Störung der normalen Lipiddoppelschicht der Bakterien |
- | Beschädigung von kritischen intrazellulären Strukturen nach der Internalisierung der Peptide (Zasloff 2002a). |
Wirkspektrum
Polymyxine sind wegen ihrer Wirkung gegenüber Pseudomonas aeruginosa von grossem Interesse (
Dowling 2006b). Diese Wirkstoffe gehören zu den wirksamsten Hemmern der meisten gramnegativen Bakterien (
al-Khayyat 1973b), inklusive Acinetobacter, Klebsiella und Enterobacter (
Falagas 2005a). Sämtliche Polymyxine weisen ein ähnliches antibiotisches Spektrum auf (
Nord 1964a).
Für weitere Informationen siehe unter
Polymyxin B und
Colistin.
Resistenzen
Zwischen den Polymyxinen treten Kreuzresistenzen auf (
Storm 1977a;
Dowling 2006b). Für weitere Informationen siehe unter
Colistin und
Polymyxin B.
Beeinflussung der Wirksamkeit
Ungesättigte Fettsäuren im Darm und die Bindung an Gewebebestandteile, v.a. Polyphosphate, senken die Wirkung von Polymyxinen (
Plempel 1969a). Die antibiotische Wirksamkeit der Polymyxine ist aber in einem Ca
2+-reichen Medium wie Milch nicht herabgesetzt (
Ziv 1982a).
Antiendotoxische Eigenschaften (LPS-Bindung)
Vollständig protonierte Polymyxine, jedoch nicht die Methansulfonatderivate, sind in der Lage, Tiere vor gewissen toxischen Wirkungen der Endotoxine zu schützen. Bei Mastitismilch von
Rindern wurde die
in-vitro Endotoxin-Inaktivierung durch Colistin bei 4 verschiedenen E. coli-Stämmen untersucht. Anhand der Resultate wurde geschlossen, dass die antipyretische sowie endotoxinneutralisierende-Wirkung der Polymyxine durch die Interaktion des kationischen Wirkstoffes mit dem anionischen Endotoxin-Molekül verursacht wird (
Ziv 1981c).
Für weitere Informationen siehe auch unter
Colistin sowie
Polymyxin B.