Wirkungsort / Wirkungsmechanismus
TS bindet spezifisch an die bakterielle 50S-Ribosomenuntereinheit und hemmt die Proteinsynthese (
Lockwood 1974a;
Thompson 1979a). Die benötigte Energie für die Proteintranslation wird mit Hilfe der Elongationsfaktoren EF-Tu sowie EF-G zur Verfügung gestellt. Die nötigen Hydrolysereaktionen finden an einem GTPase-Zentrum innerhalb der Domäne II der 23S-rRNA der grossen Ribosomenuntereinheit statt (
Conn 1999a). Das Antibiotikum blockiert den Zugang zur Base Adenosin an der Stelle 1067 sowie 1095 der 23S-rRNA (von E. coli) und hemmt die Initiationsfaktor-2-abhängige GTPase-Aktivität (
Grunberg-Manago 1972a;
Lockwood 1974a;
Brandi 2004a). Ein zusätzlicher Hinweis auf die Bindungsstelle ist, dass die Methylierung der Base Adenosin an der Stelle 1067 von Streptomyces azureus zu einer TS-Resistenz führt (
Thompson 1982b). Diese Resistenz wird durch die Unfähigkeit der durch TS blockierten Ribosomen, am Prozess der Translokation teilzunehmen, bewirkt (
Pestka 1970a) und führt zur Akkumulierung von Peptidyl-tRNA an der P-Stelle. Gemäss Cannon und Burns wirkt TS v.a. über eine Hemmung der Aminoacyl-tRNA-Bindung an der A-Stelle (
Cundliffe 1971a) der Ribosomen (
Cannon 1971a). Weiterhin hemmt TS die GTP-Hydrolyse, welche von den Elongationsfaktoren (EF-G und EF-Tu) abhängig ist. Die Bindungsstelle für EF-G wird irreversibel inaktiviert und dadurch die Bildung des Ribosom-EF-G-GTP- oder Ribosom-EF-G-GDP-Komplexes verhindert (
Modolell 1971a;
Bodley 1970a;
Weisblum 1970b;
Grunberg-Manago 1972a). Zusätzlich wird durch das Vorhandensein von TS auf der 50S-Untereinheit die Bindung des EF-Tu(GTP)aa-tRNA-Komplexes an das Ribosom vollständig verhindert. Daraus resultiert ein irreversibler Stillstand der Proteinsynthese (
Naaktgeboren 1976a;
Weisblum 1970a). Diese Effekte lassen vermuten, dass das GTPase-Zentrum wichtige Konformationsänderungen durchläuft und dass diese durch TS verhindert werden (
Porse 1998a).
TS erkennt die gleiche rRNA-Domäne wie das ribosomale Protein L11 und kann mit diesem kooperativ ans Ribosom binden (
Xing 1996a;
Porse 1998a;
Lentzen 2003a). TS alleine kann L11 nicht vor der Verdauung durch Trypsin schützen, aber die Kombination von TS und RNA machen das gesamte Protein trypsin-resistent. Dies lässt schliessen, dass TS v.a. mit dem N-Terminus des L11-Proteins interagiert während der L11-C-Terminus für die Bindung an die rRNA verantwortlich ist (
Xing 1996a). In Übereinstimmung mit diesen Resultaten wurde gezeigt, dass sowohl TS als auch ein C-terminales-Fragment von L11 an die gleiche Mg
2+-stabilisierte-rRNA-Struktur binden (
Blyn 2000a). Diese wird durch die Nukleotiden 1051 - 1108 gebildet und seine Tertiärstruktur ist stark von dem Vorhandensein von Mg
2+-Ionen abhängig (
Laing 1994a;
Bukhman 1997a). Mit Hilfe eines mutanten L11-Proteins wurde gezeigt, dass TS neben seiner Bindung an die 23S-rRNA, die Peptidverlängerung durch Verhinderung einer oder mehrerer Konformationsänderungen innerhalb des Proteins L11 hemmt (
Porse 1998a).
Tetracycline und TS, obwohl chemisch und funktionell verschieden, binden an 2 unterschiedlichen, jedoch gekoppelten aktiven Stellen auf den Ribosomen und besitzen die gleiche hemmende Wirkung auf die Proteinsynthese (
Gonzalez 2007a).
Wirkspektrum
Thiostrepton (TS) ist hauptsächlich gegen grampositive Bakterien (
Kutscher 1961a;
Hang 2005a)
in-vivo und
in-vitro wirksam (
Donovick 1955a), sowie gegen gewisse gramnegative Keime (
Papich 2001a), welche bei Hautinfektionen vorkommen. Klinisch relevant sind besonders E. coli, Proteus, Pseudomonas, Strepto- und Staphylokokken (
Demuth 2008a). Anderen Autoren zufolge dringt TS nicht in E. coli-Bakterien ein. Aus diesem Grund liegt hierbei eine Resistenz dieser Bakterien gegen TS vor (
Cundliffe 1978a). Streptococcus pyogenes sowie Staph. aureus sind
in-vivo besonders empfindlich (
Jambor 1955a). TS ist auch gegen gewisse
Penicillin- sowie
Erythromycin-resistente Organismen wirksam (
Donovick 1955a). In vielen Fällen wirkt es ebenfalls gegen
Meticillin-resistente Staphylococcus aureus, einen Bakterienstamm, der gegenüber vielen Antibiotika resistent ist (
Bagley 2005a). Das
in-vitro Spektrum von TS ist dem des Penicillins ähnlich und auf gewisse grampositive Kokken sowie einige Neiserien beschränkt (
Kelly 1960a).
In-vitro MIC
Staph. aureus 209P: | 0,024 µg/ml |
Staph. aureus (Penicillin-resistent): | 0,033 µg/ml |
Streptococcus pyogenes C203: | 0,003 µg/ml |
Bacillus subtilis: | 0,03 µg/ml |
Streptococcus faecalis: | 0,06 µg/ml |
Lactobacillus acidophilus: | 0,06 µg/ml |
Clostridium septicum: | 0,03 µg/ml |
M. tuberculosis var. bovis BCG: | 3,0 µg/ml |
Aerobacter aerogenes: | > 50 µg/ml |
Escherichia coli: | > 50 µg/ml |
Pseudomonas aeruginosa: | > 50 µg/ml |
Salmonella schottmülleri: | > 50 µg/ml |
Shigella sonnei: | > 50 µg/ml |
Shigella dysenteriae: | > 30 µg/ml |
Proteus vulgaris: | > 50 µg/ml |
Neisseria gonorrheae: | 0,3 µg/ml |
Diplococcus pneumoniae Typ 2: | 4 - 8 µg/ml |
Klebsiella pneumoniae: | > 50 µg/ml (Donovick 1955a) |
Bacillus megaterium: | 0,05 µg/ml (Spedding 1984a) |
Resistenzen
Thiostrepton-Resistenzen existieren und können ein klinisches Problem darstellen (
Kelly 1960a). Viele gramnegative Organismen sind vollständig resistent, da TS nicht in der Lage ist, in die Bakterienzelle einzudringen. Bei grampositiven Bakterien wurden hingegen 2 Arten von Resistenzmechanismen beobachtet (
Bagley 2005a).
Ribosomale Proteine
Ein Resistenzmechanismus in grampositiven Bakterien besteht im Fehlen (
Stark 1979a) eines dem L11 in E. coli entsprechenden ribosomalen Proteins (
Bagley 2005a) oder in einer veränderten Form dieses Proteins (
Spedding 1984a). Diese werden deshalb in Bacillus subtilis als BS-L11 (
Pestka 1976a) und in Bacillus megaterium als BM-L11 bezeichnet (
Wienen 1979a;
Cundliffe 1979b). Das Fehlen dieses Proteins führt bei den betroffenen Ribosomen
in-vitro zu einer reduzierten TS-Affinität, ohne Beeinträchtigung der Proteinsynthese-Aktivität (
Bagley 2005a). B. subtilis-Mutanten sind sowohl TS- wie auch Sporangiomycin-resistent. Dies unterstützt die Hypothese, dass diese Antibiotika die Proteinsynthese über einen identischen Mechanismus hemmen und dass die Mutation die Stelle auf der 50S-Ribosomenuntereinheit verändert, welche für die Antibiotikabindung verantwortlich ist (
Bazzicalupo 1975a). Auch ein mutierter B. megaterium Stamm besass ein verändertes Protein BM-L11, was zu einer Micrococcin-Resistenz führte (
Spedding 1984a).
In einer
in-vitro Studie traten keine Kreuzresistenzen mit
Penicillin,
Erythromycin,
Streptomycin,
Chlortetracyclin,
Tetracyclin,
Oxytetracyclin,
Chloramphenicol sowie Novobiocin auf (
Kelly 1960a). Hingegen wird über eine Kreuzresistenz zwischen TS und Sulfomycin berichtet (
Egawa 1969a). Eine Transversion (Ersatz einer Purin- durch eine Pyrimidinbase und umgekehrt) der Base Adenosin an der Stelle 1067 der 23S-rRNA von E. coli führte in einer Studie zu einer mehr als 1'000-fachen Abnahme der TS-Bindung. Die Substitution durch die Base Guanin an der Stelle 1067 führte zu einer mässigeren Abnahme der Bindung des Wirkstoffes (
Rosendahl 1994a).
Methylase
Der Resistenz-Mechanismus von Streptomyces azureus beruht nicht auf einem spontanen Auftreten von Bakterienmutanten (
Cundliffe 1978a). Im Allgemeinen sind Streptomyces-Arten TS-empfindlich. Dennoch bleibt S. azureus vom Wirkstoff vollständig unbeeinflusst (
Cundliffe 1984a). Eine vollständig von seinem eigenen Promotor gebildete RNA-Pentose-Methylase (
Cundliffe 1979a) ist für die Resistenz im Thiostreptonbildner Streptomyces azureus verantwortlich (
Cundliffe 1978a). Dies wurde
in-vitro auch mit rRNA von anderen Bakterien nachgewiesen (
Bagley 2005a). Das Gen, welches diese TS-Resistenz-Methylase kodiert, ist das tsr-Gen (
Chiu 1996a). Verschiedene Autoren haben nachgewiesen, dass z.B. bei E. coli das Enzym eine einzelne Methylgruppe an die Base Adenosin an der Stelle 1067 der 23S-rRNA hinzufügt (
Thompson 1982b;
Cundliffe 1979a). Das Ergebnis ist ein modifiziertes 2'-O-Methyladenosin-enthaltendes Ribosom, welches gegenüber dem TS vollständig resistent ist (
Thompson 1982b). Dieses Phänomen wurde in der Domäne II von 23S rRNA-Mutanten des Halobacterium halobium beobachtet: der Austausch von Adenosin gegen Guanin an den Stellen 1159 und 1187 verleiht eine mittlere bzw. hohe TS-Resistenz (
Mankin 1994a). Das Gleiche konnte man auch bei E. coli beobachten, jedoch an den korrespondierenden Stellen 1067 und 1095 der 23S-rRNA (
Porse 1998a). Hybridisierungs-Experimente haben gezeigt, dass zwischen den Resistenzgenen von TS und Sulfomycin eine Homologie besteht. Trotzdem sind Unterschiede in den Restriktionskarten vorhanden (
Nakanishi 1986a;
Smith 1995c;
Nakanishi 1986a).
Wirksamkeit
Maus
Mäuse wurden mit Streptococcus pyogenes C-203 sowie den Staph. aureus-Stämmen Nummer 5 und 376 infiziert. Der Stamm 5 war
Penicillin-empfindlich und der Stamm 376 resistent gegenüber mindestens 100 IU/ml Penicillin sowie gegenüber
Oxytetracyclin,
Chlortetracyclin und
Chloramphenicol. Die Mäuse, welche mit Strept. pyogenes infiziert wurden, erhielten 1-mal täglich für 2 Tage i.v. 6, 10 respektive 14 µg/Tier TS. Am 5. Tag nach der Verabreichung waren alle Tiere, welche die höheren Dosen (10 + 14 µg/Tier) erhalten hatten, noch am Leben, sowie 70% bei der tiefsten Dosis (6 µg/Tier). Von den untersuchten Antibiotika (TS, Penicillin, Oxytetracyclin, Chlortetracyclin und Chloramphenicol) war TS am wirksamsten. Der Wirkstoff war gegen Penicillin-resistente Stämme von Staph. aureus wirksam, und gegen Penicillin-empfindliche Stämme von Staph. aureus mindestens gleich wirksam wie Penicillin G (
Jambor 1955a).
Mensch
In einer Studie mit 7 Patienten schien die Kombination von TS (500'000 IU/6 h für 72 h) mit
Neomycin (1 g/h für 4 h, gefolgt von 0,167g/h für 72 h) bei der präoperativen Vorbereitung des Colons ausreichend zur Kontrolle der bakteriellen Flora in den Fäzes zu sein (
Kotake 1989a).
Plasmodium falciparum
Eine bedeutende Eigenschaft des TS ist seine Wirkung gegen Plasmodium falciparum, dem Erreger der Malaria beim Menschen (
McConkey 1997a). Viele Antibiotika hemmen das Wachstum des Malariaerregers durch Beeinträchtigung der von Bakterien stammenden Organellen (Mitochondrien und Plastiden (Apikoplasten); höchstwahrscheinlich durch die endosymbiontische Aufnahme von Bakterien entstanden) (
Goodman 2007a). Die Proteinsynthese der Parasitenorganellen wird an der grossen Untereinheit, die von einem zirkulären 35-kb Genom kodiert wird, gehemmt (
McConkey 1997a). TS hemmt die Translation des Apikoplast-kodierten TufA-Gens (
Chaubey 2005a) und interagiert spezifisch mit den Ribosomen des Apikoplasten (
Clough 1997a;
Rogers 1997a); dies führt zum sofortigen Absterben des Parasiten (
Goodman 2007a).
Immunsystem
Dem TS wird eine immunsuppressive Wirkung zugeschrieben (
Ueno 2004a).
Tumorzellen
TS besitzt eine Wirkung gegen Tumorzellen (
Nicolaou 2005a). Über die Herabregulierung der FOXM1-Expression in Brustkrebszellen wird ein gezielter Zellzyklusarrest und Zelltod induziert. Der Wirkstoff reduziert die Expression dieses Proteins sowohl zeit- als auch dosisabhängig (
Kwok 2008a).