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Jauchegase

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Die wichtigsten Jauchegase sind Schwefelwasserstoff (H2S), Ammoniak (NH3), Methan (CH4) und Kohlendioxid (CO2).
-Schwefelwasserstoff ist ein wasserlösliches, farbloses und nach faulen Eiern riechendes Gas. Höhere Konzentrationen riechen süsslich. Es ist bedeutend schwerer als die Luft und reichert sich daher in Kanälen und Gruben an. Schwefelwasserstoff ist ausserdem brennbar.
-Ammoniak ist ein stark stechend riechendes, farbloses Gas. Es ist leichter als Luft und sehr gur wasserlöslich. Ammoniak-Luftgemische sind im Bereich über 15.5 Volumen-% explosionsfähig.
-Methan ist ein farb- und geruchloses Gas und ist brennbar. Es ist leichter als Luft und verursacht Unfälle bei Öffnen von Verschlussdeckeln, Dung- und Jauchegruben. Bei einem Luftvolumenanteil von über 5 % bildet es explosive Gemische.
-Kohlendioxid ist ein farbloses und säuerliches Gas. Es ist wie Schwefelwasserstoff schwerer als Luft und reichert sich auch in Kanälen und Gruben an.
 

2. Quellen

Die aus veterinärmedizinischer Sicht wichtigste Quelle von Schwefelwasserstoff, Ammoniak, Methan und Kohlendioxid ist die Jauche oder flüssige Gülle. Zur Bildung dieser Gase kommt es bei der bakteriellen Zersetzung in der Jauche. Dabei stellt Schwefelwasserstoff, der von schwefelhaltigen Proteinen stammt, die giftigste Komponente dar. Die Hauptquelle von Ammoniak ist Urin, beziehungsweise Harnstoff. Bakterielle Ureasen hydrolysieren Harnstoff zu Ammoniak und Kohlendioxid. Es ist auf eine optimale Stallhygiene zu achten, um toxische Konzentration von Schwefelwasserstoff und anderen Gasen in der Stallluft zu verhindern. Die grösste Gefährdung resultiert aus Rührvorgängen, weil damit der in der Jauche gelöste Schwefelwasserstoff freigesetzt wird und in der Luft toxische Konzentrationen entstehen können.
 

3. Kinetik

Schwefelwasserstoff wird über die Lunge und den Magen-Darm-Trakt schnell resorbiert. Die Entgiftung geschieht durch Oxidation zu Sulfaten oder Thiosulfaten. Die Entgiftungskapazität ist allerdings sehr begrenzt. Die Ausscheidung erfolgt über die Nieren und die Lunge. Bei Aufnahme grosser Giftmengen wird Schwefelwasserstoff zum Teil wieder direkt durch die Lunge abgeatmet.
 
Bedingung für die orale Resorption von Ammoniak ist ein hoher pH-Wert, weil Ammoniak nur in der nicht-ionisierten Form über die Membranen des Magen-Darm-Traktes aufgenommen werden kann. Der Stickstoff im Ammoniak wird nach der Resorption metabolisiert und als Harnstoff mit dem Harn ausgeschieden. Beim Rind wird ein Teil des Harnstoffes über den ruminohepatischen Kreislauf in den Pansen sezerniert. Ammoniak überwindet die Blut-Hirnschranke.
 
Methan wird über die Lungen adsorbiert. Nach Inhalation wird der Hauptanteil unverändert ausgeatmet, eine kleine Menge wird zu Methanol metabolisiert.
 
Kohlendioxid durchdringt nach Inhalation rasch und leicht die Alveolarmembranen in der Lunge und gelangt dann ins Blut. Dort wird CO2 durch die Carboanhydrase der Erythrozyten in Kohlensäure umgewandelt.
 

4. Toxisches Prinzip

Die Wirkungen von Schwefelwasserstoff lassen sich durch seine chemischen Eigenschaften erklären:
-Als Säure hat Schwefelwasserstoff eine starke Reizwirkung, womit lokale Irritationen an den Schleimhäuten bis hin zu einem Lungenödem auftreten.
-Als Reduktionsmittel inaktiviert Schwefelwasserstoff eisenhaltige Enzyme, wobei die Hemmung von Cytochromoxidasen zur Stillegung der mitochondrialen Atmungskette führt. Auf diese Weise kommt es zu einem Verlust der zellulären Energiereserven, der vor allem die empfindlichen Organe wie Gehirn und Herz trifft. Schliesslich resultiert eine Lähmung des Atemzentrums.
-Die Wahrnehmungsgrenze von Schwefelwasserstoff liegt beim Menschen unter 1 ppm. Die geruchliche Warnwirkung sistiert jedoch bei Konzentrationen ab 150 ppm, höhere Konzentrationen lähmen die Geruchsrezeptoren und können nicht mehr wahrgenommen werden. Typisch sind deshalb Reihenvergiftungen: Ein Bewusstloser soll aus einem H2S-enthaltenden Raum geholt werden, der zur Rettung Nachsteigende erliegt ebenfalls und ein Dritter unternimmt den nächsten Versuch.
 
Ammoniak wirkt auf feuchten Körperoberflächen ätzend, insbesondere feuchte Haut, Schleimhäute, Lungen und Augen sind gefährdet. Die Ingestion verursacht blutige Emesis mit heftigen Schmerzen. Auf der molekularen Ebene hemmt Ammoniak den Zitronensäurezyklus, ein zentraler Umsatzplatz im Stoffwechsel der Kohlenhydrate, Proteine und Lipide. Die anaerobe Glycolyse wird begünstigt und es entsteht vermehrt Laktat, womit die betroffenen Tiere eine Azidose zeigen. Durch Hemmung der Zellatmung entsteht eine Zellschädigung. Die neurotoxische Wirkung wir auf eine exzessive Aktivierung von Glutamat-Rezeptoren im ZNS zurückgeführt.
 
Methan verdrängt den Sauerstoff in der Luft und bewirkt damit einen Sauerstoffmangel. Es ist besonders gefährlich, da es von Säugetieren nicht wahrgenommen wird.
 
Wird Kohlendioxid über einen längeren Zeitraum eingeatmet, bildet sich eine im Extremfall tödliche respiratorische Azidose. Der Organismus versucht eine CO2-Vergiftung mit Hyperpnoe und Tachykardie zu kompensieren. Schliesslich kommt es zu Bewusstlosigleit, Krämpfen, Koma und Atemstillstand.
 

5. Toxizität bei Labortieren

-Schwefelwasserstoff ist bei allen Säugetieren ab einer Konzentration in der Atemluft von 10 ppm (15 mg/m3) toxisch. Die maximal zulässige Konzentration in der Stalluft beträgt 5 ppm. Bei Konzentrationen um 500 ppm oder höher tritt in kurzer Zeit Bewusstseinsverlust und Tod ein. Die LC50, das heisst die Konzentration bei der 50% der Tiere nach einer Inhalationsdauer von einer Stunde sterben, beträgt für die Maus 673 ppm.
-Die maximal zulässige Konzentration von Ammoniak ist <10 ppm (0.001% oder 7.6 mg/m3). Ein Ammoniakgehalt der Luft von 0.5% (5000 ppm) wirkt nach 30-60 Minuten tödlich.
-Kohlendioxid ist erst ab Konzentrationen von 10% (100'000 ppm oder 196 g/m3) in der Einatmungsluft lebensgefährlich. Die maximal zulässige Konzentration ist 0.15 Volumen-% (1500 ppm). Bei 3-4 Volumen-% (30'000-40'000 ppm) erfolgt die Erregung des Atemzentrums (Hyperventilation), bei 8-10 Volumen-% eine respiratorische Azidose, Krämpfe, Bewusstlosigkeit und 20 Volumen-% sind tödlich.
 

II. Spezielle Toxikologie - Pferd

1. Toxizität

Siehe Toxizität bei Labortieren. Chronische Vergiftungen sind bereits ab Konzentrationen in der Atemluft von 20 ppm denkbar.
 

2. Latenz

Es sind sowohl akute wie chronische Vergiftungen durch Jauchegase möglich.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Apathie, Depression, Unruhe, Inkoordination, Kopfpressen gegen feste Gegenstände, Hyperthermie
  
3.2Nervensystem
Hyperästhesie, Tremor, Zuckungen, Konvulsionen, Streckkrämpfe, Tetanie
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Speicheln
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Kolik
  
3.5Respirationstrakt
Nasenausfluss, Hustenreiz, Tachypnoe, Dyspnoe, Asphyxie (bei zunächst weiterbestehender Kreislauftätigkeit), Atemlähmung
  
3.6Herz, Kreislauf
Tachykardie, Herzstillstand
  
3.7Bewegungsapparat
Streckkrämpfe gefolgt von Muskelschwäche
  
3.8Augen, Augenlider
Keratokonjunktivitis, Lakrimation, Mydriasis
  
3.9Harntrakt
Keine Symptome
  
3.10Fell, Haut, Schleimhäute
Bläuliche Schleimhäute (Zyanose)
  
3.11Blut, Blutbildung
Keine Symptome
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Keine Symptome
 

4. Sektionsbefunde

Lungenödem, Schleimhautreizungen, postmortale Sulfhämoglobinbildung (grüne Verfärbung)
 

5. Weiterführende Diagnostik

Nachweis in der Umgebungsluft (Prüfröhrchen) oder im Tierkörper (Bleiacetatpapier). Letzteres ist nur am ganz frisch verendetem Tier möglich, da durch Verwesung ebenfalls Schwefelwasserstoff entsteht.
 

6. Differentialdiagnosen

Meningoencephalitis, Cyanidvergiftung.
 

7. Therapie

7.1Frischluft
Als wichtigste Massnahme steht die sofortige Zufuhr von Frischluft im Vordergrund.
  
7.2Respiration
Atmung unterstützen
  
7.3Kreislauf
Bei Bedarf eine Bluttransfusion durchführen
  
7.4Lungenödem
Zur Behandlung des Lungenödems: Glucocorticoide und Diuretica
 

8. Fallbeispiel

Es wurden weder in der Literatur noch in den Aufzeichnungen des Tox Info Suisse Fallbeispiele zur Schwefelwasserstoffvergiftung beim Pferd gefunden.
 

9. Literatur

Gangolli S (1999) The dictionary of substances and their effects, Second Edition. Royal Society of Chemistry, Cambridge
 
Hapke H-J (1988) Toxikologie für Veterinärmediziner, Enke Verlag, Stuttgart, pp 114-115
 
Kühnert M & Gaede W (1991) Vergiftungen durch Emissionen und Immissionen. In: Veterinärmedizinische Toxikologie (M Kühnert, ed) Gustav Fischer Verlag Jena, pp 265-268
 
Pickrell J (1991) Hazards in confinment housing-gases and dusts in confined animal houses for swine, poultry, horses and humans. Vet Hum Toxicol 33, 32-39
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