Wirkungsmechanismus und Wirkungsort
In aeroben Zellen werden reaktive Sauerstoffformen (ROS) in den Mitochondrien als Nebenprodukt des oxidativen Metabolismus produziert. Eine Schädigung, welche durch die ROS verursacht wird, wird oxidativer Stress genannt (
Seven 1996a). Das Vitamin E fungiert als Antioxidans, indem es freie Radikale neutralisiert. Es kann durch Umwandlung in ein sehr reaktionsträges Tocopheroxyl-Radikal die Kettenreaktion der Radikalbildung unterbrechen, wobei es selbst durch Vitamin C oder Ubichinon-Oxidoreduktase wieder reduziert und somit zum aktiven Radikalfänger wird (
Honscha 2002a). Dadurch wird eine Reduktion der Membran-Lipidperoxidation ermöglicht, wodurch die Membranarchitektur geschont wird. Durch das aufrechterhalten der Membranstabilität von Erythrozyten und kapillaren Blutgefässe, wird die Aggregation von Blutplättchen verhindert (
Fettman 2001c). Von besonderer Bedeutung ist die antioxidative Wirkung auf das Low-Density-Protein (LDL), da oxidiertes LDL nicht mehr normal verstoffwechselt, sondern von den Makrophagen der Gefässwände aufgenommen werden kann und damit die Arteriosklerose der Gefässe in Gang setzt (
Honscha 2002a).
Schilddrüse
Die durch freie Radikale medierte Lipidperoxidierung ist mit dem Hyperparathyroidismus vergesellschaftet; es wird angenommen, dass erhöhte Schilddrüsenhormon-Spiegel den oxidativen Metabolismus beschleunigen und somit die Produktion von Sauerstoffradikalen fördern. In einem Versuch mit Ratten konnte die Peroxidierungsreaktion durch Vitamin E-Gaben verringert werden (
Seven 1996a).
Schutz vor Strahlenschäden
Bei einer Exposition an ionisierender Strahlung entstehen, durch Radiolyse von zellulären wässrigen Bestandteilen, Radikale. Die reaktiven Sauerstoffformen (früher Sauerstoffradikale genannt) können Zellschäden hervorrufen und als intrazelluläre Botenstoffe für die Stimulierung der Cytochrom C-Exkretion aus den Mitochondrien dienen und somit die Einleitung der Apoptose auslösen (
Singh 2013a). In einer Studie mit Ratten konnte bei Verwendung eines Vitamin E-Derivates während einer Strahlentherapie eine geringere radiologisch-induzierte gastrointestinale Schädigung gezeigt werden (
Sugita 2013a). Dieser Effekt wurde durch Inhibierung der Apoptose, Anregung der Regeneration der Krypten und einer verminderten Translokation der Darmflora aus dem Darmlumen (durch die Stabilisierung der Lipidmembranen) ermöglicht (
Singh 2013a). Das Tocopherolsuccinat, ein Vitamin E-Derivat, kann nur als Radioprotektor dienen, wenn es vor der Bestrahlung verabreicht wird (
Singh 2013a). In diesem Zusammenhang konnte eine geringere strahlungsbedingte Panzytopenie bei bestrahlten Mäusen belegt werden, wenn diese vorher mit 400 mg/kg Tocopherolsuccinat behandelt wurden (
Singh 2009a). Studien mit grösseren Tieren sind geplant (
Singh 2013a).
Arachidonsäuremetabolismus
Vitamin E dient als Antioxidans im Arachidonsäuremetabolismus und schützt langkettige mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Es modifiziert den zellulären Redoxstatus und moduliert Enzymfunktionen. Es wurde sowohl
in vitro wie
in vivo gezeigt, dass Tocopherol die Lipoxigenaseaktivität hemmen kann und somit einen modulierenden respektive supprimierenden Einfluss auf die Prostaglandinsynthese hat (
Panganamala 1982a;
Pentland 1992a;
Traber 1995a).
Blut
Es konnte
in vitro anhand von menschlichen Zellen gezeigt werden, dass Vitamin E eine Hemmung der Plättchenaggregation und -adhäsion bewirkt (
Szuwart 2000a;
Mabile 1999a;
Stampfer 1988a;
Bakaltcheva 2001a). Dieser Mechanismus lässt sich durch die Hemmung der Proteinkinase C (Protein C ist eine Protease, welche nach der Aktivierung durch eine Proteolyse die Gerinnungsfaktoren Va und VIIIa inaktiviert und die Fibrinolyse induziert. Protein C seinerseits wird abhängig von Vitamin K in der Leber synthetisiert (
Esmon 1995a).) erklären (
Freedman 1996a).
Reproduktion
Das Vitamin E hat einen positiven Einfluss auf die Reproduktion, da es sowohl bei weiblichen wie auch bei männlichen Tieren die Funktionsfähigkeit der Fortpflanzungsorgane erhält und die Entwicklung der Embryonen fördert (
Honscha 2002a). Bei welchen Mechanismen das Vitamin E in der Embryoentwicklung eine Rolle spielt, ist noch nicht genau bekannt (
Lebold 2014a).
Kältekonservierung
In der Kryokonservierung von Spermien wird Vitamin E als Antioxidans verwendet, um die negativen Effekte von reaktiven Sauerstoffformen zu minimieren und somit die Motilität der Spermien aufrecht zu erhalten (
Peña 2004a;
Thuwanut 2012a;
Ollero 1996a). Ebenfalls konnte eine verbesserte Qualität von kryokonservierten Schafsembryonen durch Zugabe von Vitamin E im Kulturmedium erreicht werden. Die bessere Qualität lies sich durch eine geringere Anzahl apoptotischer Zellen in den Kulturmedien bei Vitamin E-Zusatz erklären (
Peng 2008b).
Immunsystem
Ein Vitamin E-Mangel führt zu einer erhöhten Frequenz und einem erhöhten Schweregrad verschiedener Infektionskrankheiten (
Fettman 2001c). Schon Stress alleine kann die Serum- und Gewebekonzentrationen des Vitamins senken (
Nockels 1996a). Eine Hypovitaminose führt zu einer reduzierten Lymphozytentransformation und -proliferation, sowie einer beeinträchtigten neutrophilen phagozytischen und bakteriziden Funktion (
Lessard 1991a;
Langweiler 1983a). Sowohl
in vitro wie auch
in vivo konnte belegt werden, dass eine Vitamin E-Supplementation die mitogenstimmulierte Lymphozytenproliferation und die natürliche Killerzellaktivität verbessert (
Reddy 1987a;
Reddy 1986a;
Molano 2012a;
Meydani 1997a). In geriatrischen Mäusen und Menschen konnte eine verringerte Interleukin-2-Produktion (IL-2) festgestellt werden. Diese verringerte Produktion wird durch intrinsische Defekte, welche die CD4+T Zellpopulation betreffen, verursacht. Eine verringerte Proliferation ist mit höheren Infektionsrisiken im Alter verbunden. Das Vitamin E ist in der Lage, viele dieser altersbedingten Defekte, unter anderem die reduzierte Phosphorylierung von Signal- und Adapterproteinen, rückgängig zu machen. Ausserdem fördert es die IL-2-Produktion und die Expression von verschiedenen zellzykluskontrollierenden Proteinen. Die genauen Mechanismen sind noch nicht bekannt (
Molano 2012a;
Adolfsson 2001a).
Rind
Mittels Blutproben von Vitamin E-supplementierten Ochsen, konnte gezeigt werden, dass die Mononuklearen Zellen 55% mehr Interleukin-1 (IL1) mRNA synthetisierten, als bei Tieren, ohne Vitamin E-Zusatz (
Stabel 1992a).
Bei Holsteinkühen, welche oral mit Vitamin E supplementiert wurden, konnten erhöhte Serum-IgM-Konzentrationen gemessen werden. Ausserdem konnte
in vitro eine erhöhte lymphozyten-Blastogenese und im Serum eine verstärkte Inhibition der Replikation von bovinem Rhinotracheitisvirus festgestellt werden (
Reddy 1987a). Eine Supplementierung über das Futter vor dem Abkalben führt bei Kühen zu einer verbesserten chemotaktischen Eigenschaft der Neutrophilen und einer erhöhten intrazellulären Beseitigung von abgeschluckten Bakterien (
Smith 1997c;
Politis 1996b;
Politis 1995a). Bei Kühen welche kurz vor dem Abkalben standen, führte eine Injektion von Vitamin E zusammen mit Freunds Adjuvans und Escherichia coli J5 zu signifikant erhöhten Immunglobulintitern in Serum und Milch (
Hogan 1993a).
Maus
Bei mit α- und γ-Tocopherol supplementierten Mäusen konnte ein Unterschied zwischen der qualitativen und quantitativen Regulierung der Genexpression, induziert durch eine T-Zellstimulation, gezeigt werden. Zum Beispiel wurden Gene, die für den CD40-Liganden codieren, durch hohe Dosen von α-Tocopherol aktiviert, während Gene, welche das Poliovirus-Receptor-Relatet-2-Protein codieren (Das PVR mediert die natürliche Killerzelladhäsion und fördert die natürliche Killerzellfunktion (
European Bioinformatics Institute (EMBL-EBI) 2014a)), supprimiert wurden (
Zingg 2013a).
Schaf
Mit Vitamin E-suppelementierte Lämmer wiesen eine erhöhte Antikörperantwort auf; sie wurden mit dem Parainfluenzavirus 3 infiziert und zeigten eine erhöhte IgM-Konzentration (
Reffett 1988a).
Schwein
Sauen wurde präpartum Vitamin E und Selen injiziert, was zu höheren Serum-IgM und IgG-Konzentrationen bei den Muttertieren führte. Ausserdem sekretierten diese höhere IgM-Spiegel ins Kolostrum. Bei den Ferkeln führte dies zu einer verbesserten zellmedierten Antwort gegenüber Concanavalin A, einem Mitogen aus der Jackbohne, welches in der immunologischen Forschung eingesetzt wird (
European Bioinformatics Institute (EMBL-EBI) 2014a;
Hayek 1989a;
Nemec 1994a;
Wuryastuti 1993a).
Eine Supplementierung von α-Tocopherol über das Futter bei Jungsauen, führte bei deren Ferkeln zu einer verstärkten Antikörperbildung gegenüber dem Antigen Ovalbumin (
Babinszky 1991a).
Mensch
Auch beim Menschen konnte bei einer Supplementierung über mehrere Monate eine verbesserte zellmedierte und humorale Immunantwort festgestellt werden (
Meydani 1997a).
Gerhirn
Das Vitamin E schützt als Antioxidans das Hirn vor oxidativen Schäden (
Honscha 2002a). Oxidativer Stress und die daraus resultierende Lipidperoxidation können das Gehirn schädigen und die neuronale Funktion hemmen (
Nazroglu 2009a). Ausserdem kann die freie Radikalbildung epileptische Anfälle induzieren, indem sie direkt die Glutaminsynthetase hemmt und somit die Anhäufung des erregenden Neurotransmitters, der Glutaminsäure, bewirkt (
van der Hel 2005a;
Ambrogini 2014a). α-Tocopherol ist ebenfalls an der Entwicklung des Gehirnes beteiligt. Jedoch ist nicht genau bekannt, ob das α-Tocopherol-Transportprotein oder das α-Tocopherol selber eine modulierende Wirkung hat (
Miller 2012a).
Bedarf
Oxidantien, welche in der Nahrung enthalten sind, wie zum Beispiel mehrfach ungesättigte Fettsäuren, steigern den Vitamin E-Bedarf. Bei Hunden wurde bei Verabreichung fettiger Nahrung ein fünffacher Anstieg des Bedarfes festgestellt. Da das Vitamin E durch Oxidation zerstört wird, kann der Gehalt an ungesättigten Fettsäuren im Futter die Stabilität desselben beeinflussen. Dies trifft vor allem bei ungünstigen Langerungsbedingungen zu (
Fettman 2001c). Übergangsmetalle wie Eisen, Zink, Kupfer oder Magnesium agieren als Katalysator bei oxidativen chemischen Reaktionen und beeinflussen so die Vitamin-Stabilität negativ (
Dove 1991a). Glutathion, welches freie Radikale einfangen und Verbindungen mit oxidativen Substanzen eingehen kann, wirkt synergistisch mit dem Vitamin E und senkt somit den Tocopherol-Bedarf. Ein Selenmangel reduziert die Glutathionperoxidase-Aktivität und erhöht somit den Vitamin E-Bedarf (
Fettman 2001c). Eine ausreichende Seelenversorgung senkt den Vitamin E-Bedarf (
Honscha 2002a). Andere Antioxidantien, wie das Vitamin C, können das Vitamin E vor Oxidation schützen und somit den Bedarf auch senken. Der Vitamin E-Bedarf ist während der Trächtigkeit, Laktation und dem schnellen Wachstum am grössten. Auch extrinsische Faktoren, wie Stress und Erkrankungen, steigern den Vitamin E-Bedarf (
Fettman 2001c). Saisonale Schwankungen des Vitaminstatus wurden bei Pferden beobachtet. Diese hängen mit dem Vitamingehalt der Nahrung, der Speicherkapazität des Körpers und der Stabilität des Vitamins, assoziiert mit dem reproduktiven Status und den Änderungen der Umgebung zusammen (
Mäenpää 1988a).
Hypovitaminose
Bei adulten Tieren kommt eine Hypovitaminose selten vor. Hauptsächlich werden Mangelerscheinungen bei jungen Tieren, die sich in Wachstum befinden, und/oder eine Vitamin E- und selenarme Ernährung erhalten, beobachtet. Dies führt zu einer Muskeldystrophie oder zur sogenannten Weissmuskelerkrankung bei jungen Ratten, Kaninchen, Hunden, Schweinen, Kälbern, Ziegen Pferden und Hühnern (
Fettman 2001c;
Brinkhous 1941a;
Hayes 1970a;
Stöber 1994b). Die Weissmuskelerkrankung zeichnet sich durch Schwäche, Steifheit, motorische Störungen und Herzprobleme aus (
Dinning 1957a;
Stöber 1994b). Die muskulären Läsionen erscheinen bilateral und sind durch helle und fleckige Muskeln gekennzeichnet. Mikroskopisch sind eine hyaline Degeneration, Fragmentierung und Lyse der Muskelfasern feststellbar, gefolgt von Koagulationsnekrosen und dystrophischer Mineralisation (
Thomas 1993b;
Stöber 1994b). Ebenfalls bei verschiedenen Spezies wurden bei Hypovitaminose-E okulare Läsionen, wie zum Beispiel Katarakte und retinale Degenerationen, beschrieben (
Ferguson 1956a;
Devi 1965a;
Davidson 1998b).
Schwein
Bei Schweinen konnte eine Hepatitis und eine Mikroangiopathie beobachtet werden (
Rice 1989a). Die Hepatitis ist durch eine geschwollene, fleckige mit lobulären Hämorrhagien und Koagulationsnekrosen versetze Leber gekennzeichnet. Die Mikroangiopathie, auch bekannt als Maulbeerherzkrankheit, ist durch eine fibrinoide Degeneration der Arteriolen, Thromben in myocardialen Arterien und Kapillaren und subendothelialen Hämorrhagien charakterisiert (
Bickhardt 2001a).
Huhn
Bei Hühnern sind zwei weitere Syndrome zusätzlich zur Muskeldystrophie beschrieben. Es handelt sich dabei um eine exudative Diathese und eine Encephalomalazie. Die exudative Diathesis ist durch Lethargie, Anorexie und subkutane Ödemen charakterisiert, währenddem die Encephalomalazie eine Ataxie, wegen den zerebellären Hämorrhagien und Ödemen auslöst (
Véricel 1991a;
Fettman 2001c).
Pferd
Pferde mit einer vererbten Form der degenerativen Myeloencephalopathie scheinen einen Vitamin E-Mangel aufzuweisen, obwohl gastrointestinale Absorptionstests normal ausfallen (
Blythe 1991a).
Hund
Eine progressive retinale Atrophie ist bei englischen Cocker Spaniels mit einer Hypovitaminose E assoziiert. Diese wird aber nicht durch eine mangelhafte Ernährung der Hunde verursacht. Da der postabsorptive Transport von Vitamin E noch nicht vollständig erforscht ist, geht man davon aus, dass die Hypovitaminose mit Abnormalitäten des Lipidmetabolismus zusammenhängt (
McLellan 2012a;
McLellan 2003a;
Riis 1981a).
Vitamin-Status
Die Kriterien zur Bestimmung des Vitamin E-Status sind die biologische Reaktion auf eine Vitamin E-Supplementierung und die Analyse des Vitamin E-Spiegels im Blut. Da der Blutspiegel durch die Speicher in der Leber aufrecht erhalten wird, müssen die Werte mit Vorsicht interpretiert werden, da auch bei einer geringen Aufnahme der Blutspiegel unverändert bleibt, bis die Speicher aufgebraucht sind. Bei tiefen Werten muss ebenfalls bedacht werden, dass Temperatur, Lichtexposition, Hämolyse, Gefrieren sowie Gefrier- und Auftauzyklen der Proben, den Messwert beeinflussen können. Diese Faktoren können einen 2 - 33%igen Abnahme des gemessenen Vitamin E-Spiegels bei der Bestimmung durch eine Hochleistungsflüssigkeitschromatographie bedeuten (
Craig 1992b).