Wirkungsort und -mechanismus
Digitalisglykoside binden an die extrazelluläre Alpha-Untereinheit der Na
+/K
+-ATPase (
Schütz 1998a;
Ungemach 1994c;
Kelly 1996a) und inhibieren so den Na
+/K
+-Austausch. Der verminderte Auswärtsstrom von Na
+-Ionen und der verminderte Einwärtsstrom von K
+-Ionen führt intrazellulär zu erhöhten Na
+- und erniedrigten K
+-Konzentrationen (
Sponer 1996a;
Schütz 1998a;
Ungemach 1994c;
Adams 1995b;
Kelly 1996a).
Die Aktivität der Na
+/K
+-ATPase ist bei digitalisierten Hunden im linken Ventrikel und in den Nieren deutlich niedriger als bei Kontrolltieren (
Nechay 1981a). Eine hohe extrazelluläre K
+-Konzentration hemmt die Glykosidbindung an den Rezeptoren (
Schütz 1998a;
Ungemach 1994c;
Songu-Mize 1989a). Die Herzfrequenz beeinflusst dabei die Wirkung von Digoxin auf die Aktivität der Na
+/K
+-ATPase, eine erhöhte Herzfrequenz führt zu einer erhöhten Wirkung und Gefahr der Intoxikation (
Marsh 1981b).
Über einen Na
+/Ca
2+-Austauschmechanismus, der im Austausch mit Na
+-Ionen einen transsarkolemmalen Ca
2+-Transport vermittelt, wird die Ca
2+-Konzentration intrazellulär erhöht (
Ungemach 1994c;
Adams 1995b). Die treibende Kraft hierfür ist der elektrochemische Na
+-Ionen-Gradient (
Schütz 1998a). Diese geringe Erhöhung der Ca
2+-Konzentration hat Triggerfunktion und bewirkt, dass bei einer Depolarisation der Zelle vermehrt Ca
2+-Ionen aus den intrazellulären Speichern freigesetzt werden (
Sponer 1996a;
Kelly 1996a).
Die wichtige Rolle der Na
+/K
+-ATPase an erregbaren Zellen und Epithelzellen bedingt die kardialen und extrakardialen Wirkungen der Digitalisglykoside (
Schütz 1998a). Initial erhöht Digoxin bei Ferkeln auch die Na
+-Konzentration in den Erythrozyten, nach 4 - 5 Wochen werden die Ausgangswerte wieder erreicht (
Whittaker 1983a). Chronische Digitalisierung führt beim Hund zu einer Ödematisierung (Waterlogging) der mesenterialen Gefäße ohne erhöhten intravaskulären Druck. Dies scheint Folge der Hemmung der sarkolemmalen Na
+-Pumpe zu sein (
Overbeck 1980a).
Es existieren zwei Isoenzyme der Na
+/K
+-ATPase mit unterschiedlicher Affinität für Digitalisglykoside (Strophantin-G und Digitoxigenin), das Isoenzym mit hoher Affinität ist für die inotropen Wirkungen, das mit der geringen Affinität ist für die toxischen Wirkungen verantwortlich (
Maixent 1987a).
Inotropie
Digitalisglykoside erhöhen die Ca
2+-induzierte Freisetzung von Ca
2+-Ionen aus Vesikeln des kardialen sarkoplasmatischen Retikulums (
McGarry 1993a). Die erhöhte Ca
2+-Konzentration hat eine verbesserte Interaktion zwischen den kontraktilen Proteinen zur Folge (
Sponer 1996a) und erhöht damit die Kontraktionskraft und -geschwindigkeit (
Sponer 1996a;
Ungemach 1994c). In der Diastole wird die Wiederaufnahme der Ca
2+-Ionen in die intrazellulären Speicher gefördert und damit die Relaxation verbessert (
Sponer 1996a).
Das vergrößerte Herzminutenvolumen reduziert den bei insuffizientem Herzen reflektorisch gesteigerten Sympathikustonus (indirekte Wirkung auf den Sympathikustonus zusätzlich zur den direkten Wirkungen; siehe vegetatives Nervensystem) und führt somit zu einer Normalisierung der Herzfrequenz (negativ chronotrope Wirkung) und zu einer Normalisierung des Tonus der Gefäße (
Schütz 1998a). Dadurch wird einerseits der myokardiale Sauerstoffverbrauch (
Adams 1995b) und andererseits die Vor- und Nachlast gesenkt (
Schütz 1998a).
Erregungsbildung und -leitung
Durch die erhöhte intrazelluläre Ca
2+-Konzentration wird die Inaktivierung der Ca
2+-Kanäle beschleunigt und somit die Plateauphase verkürzt. Diskutiert werden auch repolarisierende K
+-Kanäle, die durch hohe intrazelluläre Na
+- und Ca
2+-Konzentrationen aktiviert werden (
Schütz 1998a). Trotz dieser Verkürzung des Aktionspotentials ist unter Digitalisglykosidwirkung eher eine Bradykardie zu beobachten (
Sponer 1996a;
Amlie 1980a), da Digitalisglykoside auch eine Verlängerung der AV-Überleitungszeit zur Folge haben (
Marr 1997a;
Kelly 1996a). Ursache ist vermutlich eine Stimulation des Vagus (
Sponer 1996a). Auch die Überleitung im Vorhof wird verlangsamt (
Sponer 1996a).
Durch eine verlangsamte Überleitung durch den AV-Knoten (
Stark 1995a) wird die Siebwirkung des AV-Knotens erhöht (
Schütz 1998a;
Detweiler 1977a;
Darke 1989a), die effektive Refraktärzeit wird verlängert (
Plumb 1999a;
Kelly 1996a). Es kommt zu keiner Veränderung der Sinusfrequenz (
Stark 1995a), aber zu einer Reduktion der Herzfrequenz durch Verlängerung des PR-Intervalls (
Runge 1986a).
Durch eine Zunahme des Vagustonus wird die AV-Überleitung verlangsamt, die Refraktärzeit verlängert, die ventrikuläre Antwort auf Vorhofflimmern reduziert (
Strickland 1998a). Die Freisetzung von Noradrenalin wird erhöht, die Aufnahme von Noradrenalin in das neuronale Gewebe gehemmt. Durch die Aufnahme von Digoxin in die parasympatischen Nerven wird direkt oder indirekt die Acetylcholinfreisetzung beeinflusst (
Cook 1981a).
Die negativ chronotrope Wirkung des Parasympathikus beruht auf der Wirkung von Acetylcholin auf die K
+-Kanäle. Acetylcholin erhöht den K
+-Ausstrom und verzögert dadurch das Erreichen des Schwellenwertes, die Frequenz des Sinusknotens wird herabgesetzt. Da die Repolarisation durch den vermehrten K
+-Ausstrom beschleunigt wird, nimmt die Dauer des Aktionspotentials ab. Über einen alpha-adrenergen Mechanismus führt Digoxin auch zu einer pulmonalen Vasokonstriktion (
Mecca 1985a). Durch die negativ dromodrope Wirkung des Parasympathikus werden Refraktärzeit und Überleitungszeit verkürzt (
Adams 1995b).
EKG
Im EKG kommt die Verlängerung der atrioventrikulären Überleitungszeit in einem verlängerten PQ-Intervall (
Sponer 1996a;
Ettinger 1966a) bzw. einer Verlängerung des PR-Intervalls (
Adams 1995b;
Atkins 1990a) zum Ausdruck. Diese Verlängerung wird teilweise schon als Beginn der toxischen Wirkungen bezeichnet (
Adams 1995b). Die Änderungen des PQ-Intervalls treten dabei bei Digitoxin und Strophantin-G nicht zuverlässig auf, stellen also keinen verlässlichen Parameter zur Überprüfung des Wirkstoffspiegels und zur Diagnose einer frühen toxischen Wirkung dar (
Gross 1973a). Weiter können eine Verkürzung des QT-Intervalls, eine ST-Senkung (
Plumb 1999a) und eine dosisabhängige Verlängerung der Repolarisationszeit durch Digoxin und Digitoxin beobachtet werden (
Amlie 1980a).
Vegetatives Nervensystem
Durch Reduktion des bei insuffizientem Herzen reflektorisch erhöhten Sympathikustonus auf ein physiologisches Niveau wird die Ausschüttung von Aldosteron und von Kortikosteroiden normalisiert.
Digitalisglykoside wirken sowohl zentral (
Strickland 1998a) als auch peripher auf das Nervensystem (
Cook 1981a). Digoxin bewirkt an der area centralis eine zentral vermittelte (
Strickland 1998a) Zunahme des Vagustonus (
Schütz 1998a;
Marr 1997a;
Strickland 1998a) und eine Abnahme der efferenten sympathischen Aktivität auf das Herz (
Strickland 1998a).
Im Bereich therapeutischer Dosen wird der Tonus des Sympathikus vermindert (
Marr 1997a;
Schütz 1998a). In höheren Dosierungen haben Digitalisglykoside jedoch eine Erhöhung des Sympathikustonus zur Folge (
Kelly 1996a).
Die negativ chronotrope Wirkung einer vagalen Stimulation wird durch Digoxin nicht verändert, die Verlängerung der AV-Überleitungszeit wird jedoch verstärkt. Die positiv chronotrope Wirkung einer sympathischen Stimulation wird reduziert, die positiv dromodrope Wirkung des Sympathikus im AV-Knoten bleibt unter Digoxinwirkung unverändert (
Wallick 1983a).
Niere, Salz- und Wasserhaushalt
Die Wirkungen der Digitalisglykoside auf Niere und Wasserhaushalt sind indirekter Natur. Das vergrößerte Herzminutenvolumen (
Adams 1995b) und eine Sensibilisierung der Barorezeptoren in Vorhöfen, Ventrikeln und Lunge, welche die vegetative Regulation der Nierenfunktion beeinflussen (
Thames 1982a), führen zu einer verbesserten Nierendurchblutung (
Plumb 1999a;
Schütz 1998a;
Adams 1995b). Aufgrund des erhöhten Herzminutenvolumens sind die Nierendurchblutung (
Plumb 1999a;
Schütz 1998a) und die glomeruläre Filtrationsrate (
Nechay 1981a) erhöht, eine erhöhte Diurese ist die Folge. Beides führt zur Ausschwemmung von Ödemen und Senkung der Vorlast (
Plumb 1999a;
Schütz 1998a). Eine Normalisierung der aufgrund der Herzinsuffizienz erhöhten Aldosteronproduktion und eine Reduktion der Reninproduktion sind weitere Folgen.
Elektrolyte
Digoxin führt zu keiner Änderung der Elektrolyte im Blut (
Steiness 1978a).
Gefäßsystem
Die Reduzierung des Sympathikustonus führt zur Nachlastsenkung und somit zur Durchbrechung des durch die verminderte Auswurfleistung des Herzen ausgelösten Circulus vitiosus (
Schütz 1998a).
Digitalisglykoside haben keine Wirkung auf den pulmonalen arteriellen Druck und systemischen vaskulären Widerstand (
Sabbah 1993a). Es kommt zu einer systemischen und pulmonalen Vasokonstriktion, bei einer Obstruktion der linksatrialen Ausstrombahn zu einer systemische Vasodilatation (als Folge des verringerten Vagustonus) bei unveränderter pulmonaler Hämodynamik (
Heerdt 1990a).
Muskulatur
Digoxin erhöht die Ca
2+-induzierte Freisetzung von Ca
2+-Ionen aus Vesikeln des kardialen sarkoplasmatischen Retikulums, nicht jedoch aus dem sarkoplasmatischen Retikulum der Skelettmuskulatur (
McGarry 1993a).
Gastrointestinaltrakt
Die Wirkungen auf den Gastrointestinaltrakt gehören zu den unerwünschten Wirkungen. Eine Erregung der glatten Muskulatur und Hemmung der aktiven Na
+- und Wasserresorption kann schmerzhafte Diarrhoe zur Folge haben. Nach oraler Administration kann eine lokale Irritation der Magenmukosa zu Erbrechen führen. Zusätzlich kann das Erbrechen jedoch auch zentral ausgelöst werden sowohl durch Wirkung der Digitalisglykoside auf die Chemorezeptor-Triggerzone als auch durch Wirkung auf das medulläre Brechzentrum (
Adams 1995b).
Vergleich der Digitalisglykoside
Eine Indikation für Digoxin besteht bei Vorhoftachykardien (
Kraft 1990a;
Tilley 1997a), Vorhofextrasystolen, Vorhofflattern und -flimmern, ventrikulären Extrasystolen bei Herzinsuffizienz, Kammertachykardie bei Stauungsinsuffizienz (
Tilley 1997a), Mitralklappeninsuffizenz und dilatativer Kardiomyopathie (
Kraft 1990a).
In gleicher Dosis führt Digoxin zu einer geringeren Zunahme der Kontraktilität als Digitoxin (
Hamlin 1971a;
Runge 1986a) und besitzt im Vergleich zu Digitoxin eine größere anticholinerge Wirkung (
Runge 1986a). Bei der Katze ist die Verwendung von Digitoxin aufgrund der langen Halbwertszeit nicht indiziert.
Digitoxin besitzt im Gegensatz zu Digoxin nur eine steroidale Hydroxylgruppe und ist somit weniger polar. Es wird nach oraler Verabreichung schnell und nahezu vollständig im Dünndarm resorbiert (
Milne 1984a). Bei Beta-Acetyldigoxin bzw. Beta-Methyldigoxin steigert die Acetylsubstitution bzw. die Methylierung die Lipophilie und damit die enterale Resorbierbarkeit (
Ungemach 1994c).
Aufgrund der hohen Polarität werden Strophantusglykoside nur zu weniger als 10% aus dem Darm resorbiert, zusätzlich ist diese niedrige Resorptionsquote starken Schwankungen unterworfen. Strophantine werden nicht metabolisiert.
Wegen des schnellen Wirkungseintritts ist Strophantin bei akutem Herzversagen indiziert, es wird zur schnellen Einleitung einer Herzglykosidtherapie eingesetzt. Weniger geeignet sind Strophantine zur Therapie von Tachyarrhythmien, da sie im Vergleich zu den Digitalisglykosiden eine geringere bradykarde Wirkung besitzen (
Ungemach 1994c).