Wirkungsspektrum
Aminoglykoside zeichnen sich durch ein breites Wirkungsspektrum mit primär bakterizider Wirkung aus, welche konzentrationsabhängig ist (
Sande 1995a;
Stahlmann 2005a). Aminoglykoside der neueren Gentamicingruppe sind jenen der älteren Kanamycingruppe überlegen (
Brown 1988a), wobei Gentamicin am aktivsten ist (
Peiffer RL Jr 1984a) und das breiteste Wirkungsspektrum aufweist (
Dowling 2006d).
Gentamicin wird primär bei Infektionen mit gramnegativen aeroben Stäbchen (
Sande 1995a;
Ramirez 2010a), u.a. E. coli, Klebsiellen, Pseudomonas (inkl. Ps. aeruginosa) (
Kroker 2010a;
Plumb 2011a), aber auch gegen aerobe grampositive Erreger, wie Staphylokokken (
Dowling 2006d;
Ramirez 2010a) eingesetzt. Bei Infektionen mit grampositiven Keimen wird allerdings eine Kombination mit β‑Laktam-Antibiotika empfohlen (Cave: nicht in Mischspritze!), da diese die Wirkung des Gentamicins synergistisch steigern (
Ramirez 2010a). Mycoplasma spp. sind empfindlich gegenüber Gentamicin, wohingegen Mykobakterien und Nocardien wenig empfindlich sind (
Dowling 2006d). Alle obligaten Anaerobier sind resistent gegen jegliche Aminoglykoside (
Dowling 2006d;
Ramirez 2010a).
Postantibiotischer Effekt (PAE) und transitorische Resistenz
Allgemeine Informationen befinden sich unter
Cephalosporine - Postantibiotischer Effekt.
Der PAE ist definiert als die Zeitspanne der persistierenden antibakteriellen Wirkung, nachdem die Serumkonzentration des Wirkstoffes unter die minimale inhibitorische Konzentration (MIC) gefallen ist (
Sande 1995a). Bei Aminoglykosiden ist der PAE konzentrationsabhängig (
Sande 1995a;
Stahlmann 2005a) und beträgt
in vitro 3 - 6 h (
Stahlmann 2005a). Falls eine Bakterienzelle die erste Exposition überlebt, wird sie zwar in ihrer Funktion geschwächt, doch ist die Wirksamkeit des Antibiotikums bei einer zweiten Exposition geringer. Dieses Phänomen wird "transitorische Resistenz" oder "first exposure effect" genannt. Aus diesen Gründen hat sich bei der Aminoglykosid-Therapie die "Einmal-täglich-Dosierung" durchgesetzt, bei der die gesamte Tagesdosis auf einmal verabreicht wird (
Stahlmann 2005a;
Sande 1995a).
Resistenz
Resistenzmechanismen gegen Aminoglykoside
Die Resistenzsituation ist bei den einzelnen Vertretern der Aminoglykoside unterschiedlich, weshalb zum Teil nur partielle Kreuzresistenzen vorliegen (
Kroker 2010a). Die Kreuzresistenz von Gentamicin gegenüber anderen Aminoglykosiden ist meistens einseitig, d.h. dass bei einer Gentamicinresistenz auch Resistenzen gegen Streptomycin, Neomycin und Kanamycin, nicht aber gegen Amikacin (
Plumb 1995a) vorliegen. Wenn jedoch umgekehrt eine Resistenz gegen Streptomycin, Neomycin oder Kanamycin vorliegt, sind diese Keime noch empfindlich gegen Gentamicin (
Kroker 1999b). Zwischen Gentamicin und Tobramycin besteht eine Kreuzresistenz (Ausnahme: Ps. aeruginosa) (
Stahlmann 2005a). Kommt es zur Resistenz durch Chromosomenmutation, so entsteht eine Kreuzresistenz gegen die meisten anderen Aminoglykoside (
Prescott 1988a).
Es wurden verschiedene Resistenzmechansimen beschrieben, welche zur Inaktivierung von Aminoglykosiden führen können (
Ramirez 2010a):
● | Inaktivierung durch Aminoglykosid-modifizierende Enzyme |
● | Mutation der 16S-rRNA oder ribosomaler Proteine |
● | Methylierung der 16S-rRNA |
● | Veränderung der äusseren Membran oder nachlassender Transport durch die innere Membran |
● | Ausschleusen aus der Zelle über aktive Exportpumpen |
● | Sequestrierung des Aminoglykosids durch feste Bindung an Azetyltransferasen |
● | Aktives "Schwärmen" (koordinierte Bewegung einer Bakterienpopulation), vermutlich ein nicht spezifischer Mechanismus, welcher bei Ps. aeruginosa nachgewiesen wurde |
Die Inaktivierung durch
Aminoglykosid-modifizierende Enzyme stellt im klinischen Umfeld den weitaus häufigsten Resistenzmechanismus dar (
Sande 1995a;
Ramirez 2010a). Bei den inaktivierenden Enzymen handelt es sich um Acetyl-, Nukleotidyl-, und Phosphotransferasen, welche die NH
2- und OH-Gruppen der Aminoglykoside modifizieren (
Ramirez 2010a). Dadurch wird die für den Übertritt ins Zytoplasma nötige positive Ladung (NH
3+) der Aminoglykoside verhindert (
Stahlmann 2005a).
Gentamicinresistenz
Die Resistenzentwicklung gegenüber Gentamicin erfolgt relativ langsam und ist plasmidgebunden. Die Resistenzlage ist gegenwärtig sehr günstig. Deshalb sollte Gentamicin nur bei schweren, durch gentamicinempfindliche "Problemkeime" (E. coli, Pseudomonas, Klebsiellen, Proteus) hervorgerufene Infektionskrankheiten des Atmungs-, Verdauungs-, oder Urogenitalsystems eingesetzt werden (
Kroker 2010a). Resistente Keime haben eine MIC von ≥ 8 - 16 µg/ml (
Dowling 2013a).
Obligate Anaerobier bzw.
aerobe Bakterien unter anaeroben Bedingungen sind resistent (
Dowling 2006d;
Ramirez 2010a).
Streptokokken sind in der Regel resistent gegen Gentamicin, ausser bei kombinierter Anwendung mit Penicillin (
Ball 1975a); Strep. pneumoniae und Strep. pyogenes sind hochgradig resistent (
Sande 1995a). Die Gentamicinresistenz bei Strep. faecalis gehört in die Gruppe der nicht-plasmidvermittelten Resistenzen und beruht auf einem gestörten Transport durch die Zellmembran (
Fraser 1991a).
Resistenzen wurden ferner bei
enterotoxischen E. coli (
Prescott 1988a) und
Salmonellen beschrieben (
Prescott 1988a;
Bogan 1983a;
Breuil 2000a).
Pseudomonas (Burkholderia) pseudomallei ist resistent gegen Gentamicin bei normalen Wirkspiegeln (
Ball 1975a).