Wirkungsort
Halothan reduziert wie alle modernen Inhalationsnarkotika die myoneuronale Übermittlung und erhöht gleichzeitig den paralytischen Effekt von intravenös verabreichten Muskelrelaxantien (
Eger 1998a).
Inhalationsanästhetika beeinflussen die neuronale Aktivität in spezifischen ZNS-Anteilen. Betroffen sind das retikuläre Gebiet des Stammhirns, der cerebrale Cortex und der Hippocampus. Insbesondere die Übermittlung von sensorischen Informationen zwischen Thalamus und gewissen corticalen Regionen wird beeinflusst.
Im ZNS existieren eine relativ geringe Anzahl von Neuronen, welche hochsensibel auf Anästhetika reagieren. Bei Weichtieren konnten Neurone gefunden werden, die komplett durch Halothan supprimiert werden. Solche supersensitive Neurone werden auch im ZNS von Säugetieren vermutet (
Franks 1988a;
Winegar 1996a;
Evers 1997a;
Koblin 2000a).
Im Rückenmark beeinflussen Inhalationsnarkotika die exitatorischen und inhibitorischen Neurotransmissionen (
Collins 1995b).
Es wird angenommen, das Anästhetika die normale synaptische Übermittlung durch Beeinflussung sowohl der prä- als auch der postsynaptischen Aktionen unterbrechen. Als Ursache werden die Wiederaufnahme von Neurotransmittern, sowie eine Veränderung der Bindung von Neurotransmittern und der Leitfähigkeit diskutiert (
Koblin 2000a).
Inhalationsnarkotika beeinflussen nicht nur einen einzelnen Neurotransmitter. Eine Anästhesie benötigt eine Balance zwischen den verschiedenen Neurotransmittersystemen (
Koblin 2000a).
Nach der Meyer-Overton Theorie ist die Anzahl der aufgelösten Zellmembran-Moleküle wichtig für die anästhetische Wirkungsweise. Diese Theorie geht von einer Korrelation zwischen den anästhetischen Eigenschaften und der Lipidlöslichkeit aus (
Eger 1989a;
Koblin 2000a).
Wirkungsmechanismus
Allgemein
Es ist unbekannt, wie Inhalationsanästhetika auf makroskopischer, mikroskopischer und molekularer Ebene wirken. Die wohl wichtigste Wirkungsweise von Inhalationsanästhetika ist die Beeinflussung der neuronalen Membran (
Koblin 2000a). Die Wirkung von Inhalationsanästhetika sollte generell als ein Resultat von verschiedenen Wirkungsweisen gesehen werden (
Steffey 1994a).
Inhalationsanästhetika stören die neuronale Übertragung in vielen ZNS-Arealen. Es ist ungewiss, ob sie die exzitatorischen oder inhibitorischen Transmissionen verstärken oder vermindern. Sowohl post- als auch präsynaptische Wirkungsweisen wurden gefunden. Inhalationsanästhetika scheinen direkt mit der Plasmamembran zu interagieren. Eine indirekte Wirkung durch Botenstoffen ist auch möglich. Die Korrelation zwischen Lipidlöslichkeit und anästhetischer Potenz lässt auf eine hydrophobe oder beidseitige Wirkungsweise schliessen. Anästhetika binden sowohl an den Membranlipiden als auch an den Membranproteinen. Es ist jedoch nicht bekannt, welche von beiden Wirkungen anästhetisch wirksam ist. Die Wirkung von Inhalationsanästhetika auf die Membranproteine wird unterschiedlich beschrieben. Sowohl direkte als auch indirekte Mechanismen werden zur Unterbrechung des Ionenflusses in Betracht gezogen (
Koblin 2000a).
Andere Studien zeigten, dass molekulare Veränderungen stattfinden, wenn Gasmoleküle in die Lipidschicht eindringen. Demzufolge sollen Anästhetika die Mobilität der Membrankomponenten steigern. Es bestehen jedoch verschiedene Imkompatibilitäten bei dieser Theorie (
Koblin 2000a).
Die Aktivität der Hirnneuronen ist sowohl vermindert als auch erhöht. Inhalationsanästhetika können die Amplitude und Dauer von inhibitorischen postsynaptischen Strömen verstärken oder selektiv die inhibitorischen postsynaptischen Potentiale vermindern (
Franks 1988a;
Winegar 1996a;
Evers 1997a).
In den sensorischen Anteilen des Rückenmarkes können sowohl positive als auch negative Stimuli nachgewiesen werden. Inhalationsgase wirken auf die spinalen motorischen Neuronen hemmend. Es wird eine indirekte Wirkungsweise durch Beeinflussung der Übermittlung von tonischen Aktivitäten vom Hirn via deszendierende Bahnen ins Rückenmark diskutiert (
Collins 1995b).
Präsynaptische Wirkung
Bei der klinischen Anwendung von Inhalationsanästhetika wird die depolarisierende Freisetzung von Noradrenalin vermindert. Im Striatum steigert Halothan ebenso wie Isofluran die spontane Freisetzung von
Dopamin und vermindert die nikotinaminerge Dopaminfreisetzung. Beide haben keine Wirkung auf die Kalium-induzierte GABA-Freisetzung. Inhalationsanästetika besitzten jedoch eine indirekte Wirkung auf die Glutamatfreisetzung. Eine Veränderung der Wirkungsdauer von Neurotransmittern durch Beeinflussung ihrer Wiederaufnahme an den Nervenenden wird auch in Betracht gezogen (
Koblin 2000a).
Postsynaptische Wirkung
Die postsynaptische Wirkung ist sowohl exzitatorisch als auch inhibitorisch. Am Neocortex wurden eine Verminderung der Acetylcholin- und Glutamatantwort durch Inhalationsanästhetika nachgewiesen (
Puil 1990a;
Wakamori 1991a).
Halothan behindert signifikant den Na
+-Kanal abhängigen Na
+-Zustrom und erhöht die intrasynaptosomale Na
+- und Glutamat-Freisetzung (
Ratnakumari 1998a).
Acetylcholin
In makroskopischen Strukturen (z.B. Cortex) beeinflussen Inhalationsnarkotika die Acetylcholinkonzentration nicht. Jedoch werden diese in spezifischen Strukturen des Gehirns vermindert oder erhöht (
Koblin 2000a).
Katecholamine
Eine erhöhte Noradrenalin-Konzentration wurde im Nucleus accumbens, Locus coeruleus und in der Grauen Substanz des ZNS nachgewiesen. Es findet kein Veränderung der Noradrenalinkonzentration im Körper statt. Es kommt vielmehr zu einer Veränderung des verfügbaren Noradrenalin in den beschriebenen Gebieten, welche durch die Narkose hervorgerufen wird (
Koblin 2000a).
GABA
Durch das Einwirken von Inhalationsanästhetika bleibt die Gesamtkonzentration von GABA unverändert. In einzelnen Hirnabschnitten können jedoch unterschiedliche Konzentrationen festgestellt werden. Halothan steigert die Konzentration von GABA im cerebralen Cortex, jedoch werden weder die Aufnahme noch Freisetzung von GABA beeinflusst (
Cheng 1981a).
Kalzium
Inhalationsanästhetika beeinflussen die intrazelluläre Kalziumkonzentration. Dadurch verändert sich auch die neuronale Erregbarkeit (
Kress 1993a;
Mody 1991a).
Zellmembran
An der Zellmembran werden verschiedene Wirkmechanismen für möglich gehalten. Unter anderem beeinflussen Inhalationsanästhetika den Ionenfluss an den exzitatorischen Membranen (
Koblin 2000a).
- | Meyer-Overton Theorie |
| Laut der Meyer-Overton Theorie entsteht eine Anästhesie unter anderem durch die Anzahl gelöster Gasmoleküle im hydrophoben Anteil der Membran. Zusätzlich erfolgt durch die Aufnahme von Molekülen eine Expansion der Membranschicht. Daraus resultiert ein Verschluss der Ionenkanäle; somit ist eine Nervenzelle nicht mehr erregbar. Andere Studien zeigen jedoch geringe bis keine Wirkung der Inhalationsanästhetika auf die Membrandicke (Eger 1989a; Koblin 2000a). |
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- | Theorie von Mulins |
| Nach der Theorie von Mulins wird eine erhöhte Mobilität der Membrankomponenten angenommen. Bereits eine geringe Veränderung der Lipidfluidität könnte einen starken Einfluss auf die Membranfunktion haben. Verändert sich der Flüssigkeitszustand der Liposomen (Gel versus Sol), so kann dies durch eine ungeordnetere und voluminösere Konformation der Membran bei einem Sol-Zustand zu einem Verschluss der Ionenkanäle führen. Inhalationsanästhetika wirken möglicherweise durch Veränderung der Membrankonformation (Solbildung). Dadurch werden die Ionenkanäle an der Öffnung gehindert und somit die Erregbarkeit der Zelle reduziert (Koblin 2000a; Ebert 2002a). |
Herz-Kreislauf
Klinisch relevante Dosierungen von Halothan führen durch die verlängerte Öffnungszeit der Kalziumkanäle des sarkoplasmatischen Retikulums (SR) zu einem vermehrten Kalziumauswärtsstrom und somit zu einer Verminderung des intrazellulär verfügbaren Kalziums. Dies ist der Hauptmechanismus für die negative inotrope Wirkung des Halothans (
Walther 1998a).
Uterus/Fötus
Halothan passiert rasch die plazentare Schranke und vermindert den fetalen Blutdruck, beeinflusst jedoch den Säure-Base-Haushalt und die Oxygenierung nicht (
Biehl 1983a).