Wirkungsort
Alle indirekt wirkenden Sympathomimetika ahmen in der Peripherie den Sympathikus nach und wirken somit ähnlich wie Noradrenalin. Lipophile Substanzen wie Methylphenidat können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und wirken auch zentralnervös als Psychostimulantien (
Starke 2005a). Die regionale Verteilung im Gehirn ist identisch mit derjenigen von Kokain. Die beiden Wirkstoffe konkurrieren um die gleiche Bindungsstelle des Dopamintransporters (
Volkow 1995a).
Wirkungsmechanismus
Der Wirkungsmechanismus von Methylphenidat ist noch nicht eindeutig geklärt. Die therapeutische Wirkung könnte mit der Einwirkung auf multiple Neurotransmitter, vor allem die Freisetzung und Wiederaufnahme von Dopamin im Corpus striatum, zusammenhängen (
Kimko 1999a).
Wirkungsmechanismus in der Peripherie
Indirekt wirkende Sympathomimetika wie Methylphenidat sind Substanzen, welche die Adrenozeptoren nicht oder nur wenig aktivieren. Sie sind jedoch Substrate des Noradrenalintransporters im Axolemm der postganglionär-sympathischen Neurone. Infolge ihrer Aufnahme in die Axone wird Noradrenalin nicht-exozytotisch aus dem Axoplasma freigesetzt und führt indirekt zu einer verstärkten Wirkung des Sympathikus. Bei wiederholter Verabreichung in kurzen Abständen lässt die Wirkung nach, da die Noradrenalinspeicher erschöpft sind (Tachyphylaxie) (
Starke 2005a).
Wirkungsmechanismus im ZNS
Im Gehirn führen lipophile indirekte Sympathomimetika zu einer Freisetzung von Noradrenalin, Dopamin, Adrenalin und Serotonin. Für die müdigkeitsvermindernde Wirkung ist hauptsächlich die Freisetzung von Noradrenalin mit anschliessender Aktivierung von alpha- und beta-Adrenozeptoren verantwortlich. Für andere psychotrope Wirkungen, wie die Euphorie, ist die Freisetzung von Dopamin mit anschliessender Aktivierung von Dopamin-D
1- bis D
5-Rezeptoren wichtiger (
Starke 2005a). Methylphenidat hemmt in der Synapse die Aufnahme von Katecholaminen wie Dopamin oder Noradrenalin und führt kaum zu einer Freisetzung von Katecholaminen (
Patrick 1987a).
In-vitro-Studien zeigten, dass Methylphenidat hauptsächlich den Dopamintransporter blockiert, dadurch die Wiederaufnahme von Dopamin in die Neuronen hemmt und zu einem extrazellulären Anstieg von Dopamin führt. Methylphenidat bewirkt kaum eine Freisetzung von Dopamin (
Wall 1995a).
Bei einer tiefen Dosis führt Methylphenidat zu einer Blockierung des Dopamintransporters; die extrazelluläre Dopaminkonzentration erhöht sich um ungefähr das 6-fache. Das erhöhte Dopamin aktiviert die präsynaptischen Dopamin-D
2-Rezeptoren an den Nervenendigungen und führt zu einer verminderten impulsgesteuerten Dopaminfreisetzung. Diese verminderte impulsgesteuerte Dopaminfreisetzung bewirkt eine verminderte Aktivierung der postsynaptischen Dopamin-D
1- und Dopamin-D
2-Rezeptoren und führt zu einer geringeren psychomotorischen Aktivität. Man vermutet, dass auf diese Weise die Hyperaktivität von Patienten vermindert wird. Bei höheren Dosen wird nebst dem Dopaminanstieg aufgrund der Hemmung des Dopamintransporters die pulsative Dopaminfreisetzung so stark erhöht, dass eine ausgedehnte Stimulation der postsynaptischen Dopaminrezeptoren stattfindet (
Seeman 1998a).
ZNS
Pferd
Bei Renn- und Showpferden wurde früher Methylphenidat illegal eingesetzt, um die Leistungsfähigkeit und das Verhalten der Pferde zu verbessern. Shults et al. konnten nach 0,1 mg/kg bei den empfindlichsten Pferden Verhaltensänderungen und nach 1 mg/kg eine maximale Stimulation feststellen. Eine maximale zentrale Stimulation erfolgte 30 Minuten nach i.v. 0,4 - 1 mg/kg. Die Pferde reagierten alle sehr individuell auf die Verabreichung von Methylphenidat (
Shults 1981a).
Kardiovaskuläres System
Die intravenöse Verabreichung von 0,3 mg/kg führt beim Menschen zu einer signifikanten Erhöhung des Adrenalins im Plasma, einer Erhöhung der Herzfrequenz sowie des systolischen und diastolischen Blutdrucks (
Joyce 1984a). Auch die orale Verabreichung von 60 mg Methylphenidat führt beim Menschen zu einer erhöhten Herzfrequenz und einem erhöhten Blutdruck (
Kelly 2005a). Bei Kindern mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bewirkte die orale Verabreichung von Methylphenidat (Tabletten mit verlängerter Wirkstofffreigabe) über 12 Monate eine geringe, jedoch statistisch signifikante Erhöhung des Blutdruckes und der Herzfrequenz. Die Wirkungen waren nicht dosisabhängig und innerhalb der 12 Monate entwickelte sich keine Toleranz (
Wilens 2004a).
Abhängigkeits- und Missbrauchspotential
Methylphenidat untersteht dem Betäubungsmittelgesetz. Die Erhöhung der Dopaminkonzentration im ZNS ist charakteristisch für Medikamente mit einem Missbrauchspotential (
Fone 2005a). Kokain und Methylphenidat haben beide eine ähnliche Affinität für Dopamintransporter im Corpus striatum. Nach intravenöser Verabreichung werden beide Substanzen schnell (T
max unter 10 Minuten) ins ZNS aufgenommen. Methylphenidat hat jedoch im Vergleich zu Kokain eine relativ langsame Eliminationshalbwertszeit von 90 Minuten. Nach oraler Verabreichung findet eine langsame Aufnahme ins Gehirn statt (T
max 60 Minuten oder grösser); ein Euphoriegefühl ist dadurch sehr unwahrscheinlich. Bei vorschriftsgemässer Anwendung scheint das Potential von missbräuchlicher Anwendung relativ gering zu sein (
Wolraich 2004a;
Volkow 1995a).