Wirkungsort
Da Oestrogene im Blut transportiert werden, könnte man annehmen, dass sie sich in allen Organen und Geweben, je nach Durchblutung, mehr oder weniger gleichmässig verteilen. Für Oestrogene trifft dies nicht zu, da ihre Zielzellen spezifische Rezeptoren besitzen (
Neumann 1992a). Bildungsstätten der endogen gebildeten Oestrogene sind die Gonaden, die Nebennierenrinde und die Plazenta (
Kroker 1999g;
Neumann 1992a). Steroidhormone stammen von einem Vorgängermolekül, dem Cholesterol ab (
Edquist L- 1997a). Zwischenstufen in der Biosynthese von Oestrogenen sind Testosteron und Androstendion. Durch Aromatisierung von Androgenen im Fettgewebe können auch Oestrogene entstehen. Die Hauptvertreter der endogenen Oestrogene sind Oestradiol (17beta-Oestradiol), Oestron und Oestriol. Das wirksamste natürlich vorkommende Oestrogen ist Oestradiol. Oestron besitzt nur etwa einen Drittel und Oestriol nur etwa einen Zehntel der biologischen Aktivität des Oestradiols (
Neumann 1992a).
Oestrogene sind notwendig für das Wachstum der weiblichen Geschlechtsorgane, und in verschiedenen Spezies sind sie für die Ausbildung und Erhaltung der sekundären Geschlechtsmerkmale verantwortlich (
Plumb 1995a). Erfolgsorgane für die Oestrogene sind der Uterus, die Zervix, die Vagina und die Milchdrüse (
Kroker 1999g;
Neumann 1992a). Die Oestrogene zeigen in diesen Organen folgende Wirkungen: Veränderung der Vaginalschleimhaut wie Hyperämisierung und Proliferation, Proliferation des Endometriums, Hypertrophie des Myometriums und Erhöhung der Spontankontraktilität (
Plumb 1995a;
Kroker 1999g), Beteiligung beim Aufbau der Milchdrüse und eine luteotrope (Schwein) oder luteolytische (Rind) Wirkung auf den Gelbkörper (
Kroker 1999g). Oestrogene beeinflussen die Freisetzung von Gonadotropinen aus der Hypophyse. Diese Wirkung kann folgende Effekte verursachen: Laktationshemmung, Ovulationsverhinderung und Hemmung der Androgensekretion (
Plumb 1995a). Oestrogene erzielen aber auch in anderen Organsystemen eine Wirkung, wie z.B. auf die Leber, wo sie die Bildung von Transportproteinen für Hormone (z.B. Thyroxinbindendes Globulin, Sexualhormonbindendes Globulin) stimulieren (
Neumann 1992a) oder auf die Knochen und die Muskulatur (
Plumb 1995a), wo sie den Schluss der Wachstumsfugen und (
Kroker 1999g;
Plumb 1995a;
Neumann 1992a) die Kalziumeinlagerung in die Knochen fördern und so die Knochenbildung steigern. Weiter haben Oestrogene auch einen leichtgradig-anabole Wirkung und können die Natrium- und Wasserretention steigern (
Plumb 1995a;
Neumann 1992a). Das Auftreten von Osteoporosen bei Frauen in der Menopause ist unter anderem auf das Defizit von Oestrogenen zurückzuführen. Den Oestrogenen werden ferner beim Menschen psychotrope Effekte zugeschrieben (
Neumann 1992a).
Oestrogene haben auch von Spezies zu Spezies unterschiedliche Wirkungen auf die Haut: beim Hund z.B. führt eine Langzeittherapie mit Oestrogenen zu einer epidermalen Atrophie. Oestrogene vermindern den Haarwuchs und die Schaftdicke der Haare. Eine topische, orale und parenterale Applikation von Oestrogenen kann bei Hunden eine Alopezie verursachen (
Schmeitzel 1990a).
Oestrogene sind auch wichtig für die normale Entwicklung und das Wachstum der Prostata beim Hund. Man vermutet, dass sie eine Rolle in der Pathogenese der benignen Prostatahyperplasie spielen (
Rhodes 2000a).
Wirkungsmechanismus
Steroidhormone sind fettlöslich und deshalb fähig, in alle Zellen des Körpers einzudringen. Die Steroide gelangen durch passive Diffusion in die Zellen und binden an spezifische Rezeptoren, welche sich in den Zellen befinden (
Edquist L- 1997a). Für Steroidhormone gibt es wahrscheinlich nur Rezeptoren im Zellkern. Man weiss, dass der Hormonrezeptorkomplex nach Transformation im Zellkern eine starke Bindung mit der DNS eingeht. Durch die Stimulierung der RNS-Polymerase wird die Genexpression auf der Ebene der Transkription moduliert, d.h. die Synthese von mRNS (Boten-RNS) wird in Gang gesetzt, die ihrerseits die Synthese spezifischer Proteine und Enzyme in den Ribosomen anregt (Translation) und somit die eigentliche Hormonwirkung auslöst (
Edquist L- 1997a;
Neumann 1992a). Nur nicht proteingebundenes Hormon kann in die Zielzelle diffundieren (
Cain 1992a;
Edquist L- 1997a). Das bedeutet, dass proteingebundene Steroide biologisch inaktiv sind. Die Bindung ans Plasmaprotein ist reversibel (
Edquist L- 1997a). Die Transportproteine werden SHBG (sex hormone binding globuline, Sexualhormonbindendes Globulin) genannt (
Selman 1997a). Oestrogene binden auch an das weniger spezifische Transportprotein Albumin (
Neumann 1992a).
Östrogene
Die ovarielle Oestrogenbiosynthese wird durch Gonadotropine reguliert. Je nach Zyklusphase und Hormonstatus können Oestrogene eine negative oder positive Rückkopplungs-Wirkung auf die Gonadotropinsekretion ausüben. FSH stimuliert das Follikelwachstum und die Follikelreifung in den Ovarien. Die Thekazellen in der Theka interna produzieren unter dem Einfluss von LH Androgene aus Cholesterin. Die Androgene werden in den Granulosazellen unter FSH-Einfluss zu Oestrogenen konvertiert. Und die Oestrogene stimulieren die Pulsfrequenz der GnRH-Freisetzung. Wird ein bestimmter, artspezifischer Schwellenwert an Oestrogenen überschritten, wird ein massiver LH-Surge (plötzliche, schnelle LH-Zunahme) durch einen GnRH-Surge ausgelöst, der die Ovulation initiert (
Mol 1997a).
Oestrogene entfalten sexualspezifische Wirkungen an den gleichen Organen und Organsystemen wie Gestagene. Oestrogene und Progesteron verhalten sich dabei in bestimmten Dosisrelationen und bei einer bestimmten zeitlichen Sequenz des Zusammenwirkens synergistisch. Im Zusammenwirken mit Progesteron erhalten Oestrogene die Trächtigkeit / Schwangerschaft. Aber auch der Eitransport, die Uterusmotilität und die Zusammensetzung der Sekrete in den Tuben und dem Uterus werden durch Oestrogene mitgesteuert (
Neumann 1992a).