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Mutterkorn

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Mutterkornalkaloide sind Derivate der Lysergsäure. Durch halbsynthetische Abwandlung natürlich vorkommender Mutterkornalkaloide (zum Beispiel Ergometrin, Ergotoxin und Ergotamin) sind zahlreiche weitere Substanzen mit unterschiedlicher Wirkqualität entwickelt worden, wie zum Beispiel Methysergid oder LSD (Lysergsäurediäthylamid).

 

2. Quellen

-Claviceps purpurea gehört zu den Askomyceten (Schlauchpilzen). Er schmarotzt auf verschiedenen Getreidearten und Gräsern (über 300 Wirtspflanzen). Der Pilz bildet ein 1-4 cm langes, blauviolettes, hornartig gekrümmtes Dauermycel (Sklerotium) in den Ähren der befallenen Pflanzen. Dieses Dauermycel wird Mutterkorn oder Secale cornutum genannt. Die Mutterkornbildung wird durch trockene Witterungsverhältnisse begünstigt. Im Mittelalter kam es häufig zu endemischen Vergiftungen, doch heute sind durch moderne Auslesetechnik die Mutterkornvergiftungen selten geworden.
-Verschiedene Ergotalkaloide werden therapeutisch genutzt, zum Beispiel zur Anregung der Uterusmuskulatur oder in der Humanmedizin zur Behandlung der Migräne.
 

3. Kinetik

Die Resorption nach oraler Aufnahme ist sehr unterschiedlich. Ergometrin wird rasch und fast vollständig, Ergotamin wird langsam und nur unvollständig resorbiert. Die Metabolisierung erfolgt in der Leber und die Metaboliten werden mit der Galle ausgeschieden. Pharmakokinetische Daten von Ergotamin beim Menschen: Orale Bioverfügbarkeit < 1%, Plasmahalbwertszeit 2 Stunden, Verteilungsvolumen 1.8 L/kg. Die Plasmahalbwertszeit von Methysergid beträgt 10 Stunden.
 

4. Toxisches Prinzip

-Mutterkornalkaloide wirken an den α-Adrenorezeptoren der Gefässe als partielle Agonisten und führen bei ausreichender Dosis zu einer extremen und langanhaltenden Vasokonstriktion. Diese Wirkung kann das Absterben von Ohren, Nasen und Extemitäten zur Folge haben.
-Einige Mutterkornalkaloide (zum Beispiel Ergometrin) bewirken (über adrenerge und serotonerge Rezeptoren) die Kontraktion der Uterusmuskulatur und können somit Aborte auslösen.
-Ferner können sich Ergotalkaloide auf das ZNS auswirken (konvulsive Form der Mutterkornvergiftung). Im letzten Drittel der Trächtigkeit ist die Wirkung von Ergotamin auf die Uterusmuskulatur ähnlich wie Oxitocin.
-Einige Mutterkornalkaloide hemmen direkt die Prolaktinsekretion und führen somit zu Agalaktie.
 

5. Toxizität bei Labortieren

Genaue Angaben zur oralen Toxizität bei Labortieren wurden in der Literatur nicht gefunden.
 

II. Spezielle Toxikologie - Wiederkäuer

1. Toxizität

Es gibt in der Literatur keine genauen Angaben zur Toxizität der Mutterkornalkaloide. Im Allgemeinen gilt ein Sklerotien-Gehalt in der Nahrung von unter 0.1% (bezogen auf das Gewicht) als unbedenklich.
 

2. Latenz

Symptome treten frühestens 3 Tage nach Beginn der Fütterung mit den Alkaloiden auf, in der Regel aber erst nach 2-3 Wochen. Chronische Vergiftungen sind häufiger als akute.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Inappetenz, Abmagerung, Ataxie, Depression, im Spätstadium häufiges Liegen bis Festliegen; bei der akuten Form: Hyperthermie und Durst
  
3.2Nervensystem
Hyperästhesie, Tremor, Krämpfe (bei konvulsiver Form)
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Hypersalivation, Ulcerationen und Nekrosen der Zunge und Maulschleimhaut
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Diarrhoe
  
3.5Respirationstrakt
Bei der akuten Form Tachypnoe und Dyspnoe bis Atemlähmung
  
3.6Herz, Kreislauf
Keine Symptome
  
3.7Bewegungsapparat
Die Gliedmassen sind kalt anzufühlen, die Gelenke sind steif und geschwollen; Lahmheit, Verlust der Sensitivität, Hautrötungen, später blau-schwarze Verfärbung, scharf umgrenzte Gangräne an den Gliedmassen, Ablösung der Haut und der Klauen
  
3.8Augen, Augenlider
Blindheit
  
3.9Harntrakt
Keine Symptome
  
3.10Fell, Haut, Schleimhäute
Mattes Fell, Verlust der Haare an den betroffenen Gliedmassen, Gangräne auch an Ohren und Schwanz
  
3.11Blut, Blutbildung
Keine Symptome
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Milchleistungsrückgang, gelegentlich Aborte
 

4. Sektionsbefund

Gangräne an Extremitäten, Ohren und Schwanz. Ulcerationen und Nekrosen in Maul, Pharynx und Vormägen. Schaf: Blutungen im Gastrointestinaltrakt.
 

5. Weiterführende Diagnostik

5.1Allgemeines Vorgehen bei Verdacht auf Mycotoxinvergiftung
-Die Untersuchung gestorbener Tiere veranlassen: Sektion, Histologie etc., damit andere Krankheits- oder Todesursachen ausgeschlossen werden können.
-Das verdächtige Futter absetzen und für den Nachweis von Mycotoxinen sicherstellen.
-Schimmelpilze und Mycotoxine sind oft ungleichmässig im Futter verteilt, deshalb mehrere Proben an verschiedenen Orten sammeln (zum Beispiel in der Mitte und der Peripherie eines Heuballens).
-Probenentnahme protokollieren: Zeitpunkt, Ort im Heuballen oder Silo, Beschaffenheit (feucht, trocken, klumpig), Farbe und Geruch der Proben.
-Proben trocknen und in Papier einwickeln. Plastiktüten oder -behälter eignen sich nur, wenn die Proben sofort eingefroren werden.
-Detaillierten Situationsbericht mitschicken; das Labor muss mit Hilfe Ihrer Informationen entscheiden, nach welchen Mycotoxinen gesucht werden soll.
 
5.2Nachweis der Sklerotien (Mycelien des Pilzes) im Futter oder Mageninhalt
Nachweis der Mutterkornalkaloide im Futter mittels chromatographischen oder immunologischen Methoden.
Bei einem Verdacht auf Mycotoxinvergiftung sollte folgendes berücksichtigt werden:
-Wegen der grossen Zahl von chemisch verschiedenen Verbindungen muss in der Regel nach mehreren Toxinen gesucht werden
-Ein hoher Schimmelpilzbefall bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Proben tatsächlich mit Mycotoxinenen kontaminiert sind. Es ist bekannt, dass nicht alle der vielen Schimmelpilzarten Toxine bilden, und auch die potentiellen Toxinbildner brauchen für die Produktion der toxischen Verbindungen bestimmte Umweltbedingungen (Nährstoffzusammensetzung). Auch wenn eine bestimmte Schimmelpilzart identifiziert wird, ist es deshalb nicht möglich, auf die Gegenwart des entsprechenden Mycotoxins zu schliessen.
-Andereseits ist es möglich, dass die Proben hohe Konzentrationen eines Mycotoxins enthalten, ohne dass die Zahl der Schimmelpilze erhöht ist. Dies könnte geschehen, wenn die Schimmelpilze während der Futterzubereitung zum Beispiel durch Erhitzen zerstört würden und nur die hitzestabilen Toxine erhalten blieben.
 

6. Differentialdiagnosen

Maul- und Klauenseuche, Thrombosen und Embolien, Traumatas.
 

7. Therapie

7.1Bei der chronischen Form besteht ausser dem Absetzen des kontaminierten Futters keine Therapiemöglichkeit.
  
7.2Bei einer akuten Vergiftung sind symptomatische Massnahmen zu ergreifen.
 

8. Fallbeispiele

8.1Alle 25 Milchkühe einer Herde zeigten Hyperthermie, deutliche Tachypnoe, Dyspnoe, vermehrte Wasseraufnahme und Milchrückgang. Die Ursache war die Verfütterung von Triticale-Schrot, das mit Mutterkorn (Claviceps purpurea) kontaminiert war. Andere Krankheitursachen konnten ausgeschlossen werden. Der Gewichtsanteil an Mutterkorn betrug ca. 0.7%, der Gesamtalkaloidgehalt 14 mg/kg, wobei Ergocornin und Ergosin mit je 4 mg/kg dominierten. Bereits 1 Woche nach dem Absetzen des kontaminierten Futters sowie der oralen Gabe von organischen Spurenelementen, Hefeextrakt und Mykotoxinbinder zeigten die Tiere eine klinische Verbesserung, nach weiteren 3 Wochen waren alle Symptome verschwunden. Es traten keine Komplikationen wie Fruchtbarkeitsstörungen, Aborte, Lahmheiten oder Gangräne auf (Rösch et al., 2013).
  
8.2In einer Herde von 52 Rindern wurden drei Tiere tot aufgefunden. Die Sektion ergab Schwellungen an den Extremitäten, Nekrosen der Haut, Ulcera im Abomasum und ein ödematöses Mesenterium des Dünndarmes. Die verbleibenden Tiere der Herde zeigten verschiedene Symptome wie Durchfall, Ödeme der Hinterbeine, Nekrosen und Ablösung der Haut an den Phalangen. Der Verdacht einer Mutterkornvergiftung wurde durch chromatographische Analysen des Grases bestätigt (Coppock et al., 1989).
  
8.3Es wurde ein Reh aufgefunden, das extrem lahm ging. Das Tier wurde abgeschossen und untersucht. An allen Extremitäten und an den Ohren waren schwere Gangräne sichtbar. Als Verdachtsdiagnose wurde eine Mutterkornvergiftung vermutet (Green & Rose, 1995).
  
8.4Mehrere Kühe und Kälber wurden auf eine neue Weide geführt. Nach vier Tagen stellte man bei zwei Kühen eine Lahmheit fest. Nochmals zwei Tage später erkrankte eine weiter Kuh. Während den nächsten 2-4 Wochen wurden geschwollene Gelenke und Gangräne sichtbar und das Horn der Klauen begann sich abzulösen. Bei der nachträglichen Inspektion der Weide war eine starke Infektion der Gräser mit Mutterkorn zu beobachten (Holliman, 1989).
  
8.5Eine Herde von von 34 Färsen war von einer Mutterkornvergiftung betroffen. Die Tiere litten unter Lahmheit der Hintergliedmassen, zum Teil mit sichtbaren Gangränen. Alle betroffenen Tiere wurden euthanasiert. Die Inspektion des Betriebes ergab, dass die Silage mit Sklerotien von Claviceps purpurea befallen war. Bei der Analyse dieser Sklerotien konnte ein Gehalt an Ergotamin von 1.7 mg/g festgestellt werden (Hogg, 1991).
 

9. Literatur

Baker I (1995) Ergot. In Practice July/August 1995
 
Blaney BJ, McKenzie RA, Josey BJ, Ryley MJ & Downing JA (2000) Effect of grazing sorghum (Sorghum bicolor) infected with ergot (Claviceps africana) on beef cattle. Austr Vet J 78, 124-125
 
Blaney BJ, McKenzie RA, Walters JR, Taylor LF, Bewg WS, Ryley MJ & Maryam R (2000) Sorghum ergot (Claviceps africana) associated with agalactia and feed refusal in pigs and dairy cattle. Austr Vet J 78, 102-107
 
Browning R & Leite-Browning ML (1997) Effect of Ergotamine and Ergonovine on Thermal Regulation and Cardiovascular Function in Cattle. J Anim Sci 75, 176-181
 
Coppock RW, Mostrom MS, Simon J, McKenna DJ, Jacobsen B & Szlachta HL (1989) Cutaneous ergotism in a herd of dairy calves. J Am Vet Med Ass 194, 549-551
 
Diekman MA & Green ML (1992) Mycotoxins and reproduction in domestic livestock. J Anim Sci 70, 1615-1627
 
Galey FD (1996) Mycotoxins. In: Large Animal Internal Medicine (Smith BP ed) Mosby- Year Book, St.Louis, Missouri, pp 1890-1895
 
Green P & Rose H (1995) Suspected gangrenous ergotism in a wild roe deer (Capreolus capreolus). Vet Rec 137, 220-221
 
Hogg RA (1991) Poisoning of cattle fed ergotised silage. Vet Rec 129, 313-314
 
Holliman A (1989) Gangrenous ergotism in a suckler herd. Vet Rec 124, 398-399
 
Lorgue G, Lechenet J, Rivière A (1996) Ergot. In: Clinical Veterinary Toxicology (Chapman MJ ed) Blackwell Science, London, pp 99-100
 
Moss RJ, Blaney BJ, Casey ND, Gobius NR & Jonsson NN (1999) Ergot (Claviceps africana) contamination of sorghum grain reduces milk production. Proceedings of the 15th Symposium, University of New England, Armidale, Australia
 
Pier Ac, Richard Jl & Cysewski SJ (1980) Impliacations of Mycotoxins in Animal Disease. J Am Vet Med Ass 176, 719-723
 
Radostits OM, Blood DC, Gay CC & Hinchcliff KW (1999) Claviceps purpurea (Ergotism). In: Veterinay Medicine (Radostits OM, Blood DC, Gay CC & Hinchcliff KW eds) Saunders Company, London, pp 1691-1692
 
Ross AD, Bryden WL, Bakau W & Burgess LW (1989) Induction of heat stress in beef cattle by feeding the ergots of Claviceps purpurea. Austr Vet J 66, 247-249
 
Rösch M, Peintner U & Strabel D (2013) Fallbericht: Mutterkornvergiftung verursacht Hyperthermiesyndrom in einem Milchviehbestand. Der Praktische Tierarzt 94(10), 918-925
 
Rotter RG & Phillips GD (1991) Effect of dietary ergot on the mean transit time of digesta in the small intestine of sheep. Can J Anim Sci 71, 767-771
 
Stöber M (1978) Mykotoxikosen. In: Krankheiten des Rindes (Rosenberger G ed) Blackwell Wissenschafts Verlag Berlin, pp 1239-1247
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