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Nitrat / Nitrit

I. Allgemeine Toxikologie

1. Chemisch-physikalische Eigenschaften

Nitratsalze wie Natrium-, Kalium- oder Ammoniumnitrat sind sehr gut wasserlöslich.
 

2. Quellen

Die wesentlichste Vergiftungsquelle für landwirtschaftliche Nutztiere ist die Speicherung von Nitrat in den Futterpflanzen. Ferner bildet die Kontamination des Futters mit nitrithaltigen Silierhilfsmitteln eine mögliche Gefahrenquelle. Auch der sorglose Umgang mit Nitratdüngern kann zu Vergiftungen führen. Ammoniumnitrat ist in Kühlbeuteln zu finden. Natriumnitrat und Kaliumnitrat werden auch als Konservierungsmittel in Futtermitteln verwendet.
Die Nitratspeicherung der Pflanzen ist stark abhängig von Düngung, Herbizideinsatz, ungünstigen Witterungsverhältnissen (Trockenheit oder Kälte), Mangel an Spurenelementen oder Pilzbefall.
Die höchsten Nitratkonzentrationen enthalten Kleemehl, Luzerne und Kartoffeln, die höchsten Nitritkonzentrationen die Zuckerrüben (Schrenk et al., 2020).
 

3. Kinetik

Nach oraler Aufnahme wird Nitrat (NO3) stufenweise in Nitrit (NO2), Stickoxid (NO) und Nitrosamine (RN-NO) umgesetzt:
 
Nitritbildung aus Nitrat
NO3 + 2e + 2H+ → NO2 + H2O
 
Stickoxidbildung aus Nitrit
NO2 + e + 2H+ → NO + H2O
 
Durch Bakterien wird Nitrat bereits im Speichel - bei Wiederkäuern vor allem in den Vormägen - zu Nitrit reduziert, womit sich die Toxizität um einen Faktor 10 erhöht. Nitrat und Nitrit werden resorbiert, gelangen in die Blutbahn und werden über den Harn ausgeschieden. Wegen der raschen Umwandlung von Nitrat zu Nitrit im reduzierenden Milieu des Pansens reagieren Wiederkäuer besonders empfindlich auf eine erhöhte Nitratexposition. Aus Sicht des Verbraucherschutzes erhalten die Nitrosamine eine besondere Bedeutung, weil ihnen mutagene und kanzerogene Eigenschaften nachgewiesen wurden. Nitrosamine entstehen hauptsächlich im Magen von Monogastriern aus der Reaktion von Nitrit mit Aminen, Amiden oder Aminosäuren:
 
Nitrosaminbildung aus Nitrit
RNH + NO2 + H+ → RN-NO + H2O
 
Ausganspunkt der genotoxischen Wirkung der Nitrosamine ist eine Cytochrom-P450-vermittelte Oxidation an einem der Aminogruppen benachbarten C-Atom. Dadurch entstehen reaktionfähige Zwischenstufen, die zelluläre Makromoleküle alkylieren und unter anderem die DNS durch Adduktbildung schädigen.
 
Bildung alkylierender Verbindungen (zum Beispiel aus Dimethylnitrosamin)
CH3CH3N-NO → OHCH2CH3N-NO → HCH3N-NO → Reaktion mit DNS
 
Für den Menschen hat dieser genotoxische Mechanismus zur Folge, dass Nitrit (im Pökelfleisch) sowie Nitrat (im Gemüse oder Trinkwasser) zu einem erhöhten Krebsrisiko führt.
 

4. Toxisches Prinzip

Im Verdauungstrakt wird Nitrat durch Reduktion in das giftigere Nitrit umgewandelt. Nitrat und Nitrit führen zu folgenden toxischen Wirkungen:
-Reizung der Schleimhäute im Magen-Darm-Trakt durch Nitrat/Nitrit.
-Methämoglobinbildung: Nitrit ist ein potentes Oxidationsmittel, das Methämoglobin (Fe3+) aus Hämoglobin (Fe2+) erzeugt. Als Folge einer Verschiebung der Sauerstoff-Sättigungskurve kommt es zu einer ungenügenden Sauerstoffabgabe in der Peripherie. Die Methämoglobinbildung führt deshalb zu Gewebshypoxie. Im Allgemeinen treten Symptome ab einem Methämoglobinanteil von 10-20% auf, ab 30% ist die Blutfarbe deutlich ins Braune verändert, zum Tod kommt es bei 60-80% Methämoglobin durch innere Erstickung.
-Vasodilatation und Blutdruckabfall: bei der weiteren Reduktion von Nitrit entsteht Stickoxid, das zur Dilatation der Blutgefässe führt. Stickoxid ist ein Botenstoff, der bei vielen Signalprozessen beteiligt ist und beispielsweise auch von Endothelzellen freigesetzt wird. Bei Nitrat/Nitrit-Vergiftungen entsteht jedoch ein Überschuss dieses Botenstoffes, der durch Erweiterung der Blutkapillare den Blutdruck absinken lässt. Die Gewebshypoxie wird wegen der daraus resultierenden Kreislaufinsuffizienz bei gleichzeitiger Methämoglobinbildung noch verstärkt.
-Schilddrüsenunterfunktion: Nitrat kann die Schilddrüsenfunktion hemmen, indem es als kompetitiver Inhibitor des Transportproteins Natrium-Iodid-Symporter (NIS), das die Einschleusung von Iodid-Ionen aus dem Blut in die Zelle katalysiert, agiert. Dies führt zu einer Verringerung der Jodidaufnahme sowie der Schilddrüsenhormonsynthese (Schrenk et al., 2020).
 

5. Toxizität bei Labortieren

Akute orale LD50 (in mg/kg Körpergewicht):

 MausRatteKaninchenHuhn
Ammoniumnitrat 4'820  
Kaliumnitrat 1'6003'750 
Kaliumnitrit110 300 
Natriumnitrat 3'2362'680 
Natriumnitrit85175-180  
 

6. Umwelttoxikologie

Die heutige Landwirtschaft nimmt eine Schlüsselstellung für die Stickstoffbelastung der Umwelt ein. Stickstoffdünger erlauben zwar eine massiv gesteigerte lanwirtschaftliche Produktivität, führen jedoch zur unerwünschten Steigerung der Nitratexposition und zur Überdüngung der Gewässer.
 

II. Spezielle Toxikologie - Pferd

1. Toxizität

Pferde tolerieren einen Natriumnitratgehalt in ihrem Futter von bis zu 2% (bezogen auf das Feuchtgewicht).
 

2. Latenz

Die Latenz beträgt wenige Minuten bis Stunden bei akuten Vergiftungen, kann sich aber bei chronischen Vergiftungen auf mehrere Wochen erstrecken. Die chronische Nitratexposition führt zu Leistungsverminderung, Fruchtbarkeitsstörungen und Aborten.
 

3. Symptome

3.1Allgemeinzustand, Verhalten
Anorexie, Hypothermie, Ataxie, Koma
  
3.2Nervensystem
Tremor, Krämpfe
  
3.3Oberer Gastrointestinaltrakt
Speicheln
  
3.4Unterer Gastrointestinaltrakt
Kolik, Durchfall
  
3.5Respirationstrakt
Dyspnoe, Tachypnoe
  
3.6Herz, Kreislauf
Hypotonie (schwacher Puls), Tachykardie
  
3.7Bewegungsapparat
Keine Symptome
  
3.8Augen, Augenlider
Keine Symptome
  
3.9Harntrakt
Polyurie
  
3.10Fell, Haut, Schleimhäute
Schweissausbruch, braungefärbte oder bläuliche Schleimhäute
  
3.11Blut, Blutbildung
Schockoladenbraun gefärbtes Blut (Methämoglobinämie)
  
3.12Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Fruchtbarkeitsstörungen, Aborte
 

4. Sektionsbefunde

Es werden zyanotische Schleimhäute, Gastroenteritis und schockoladenbraunes Blut beobachtet.
 

5. Weiterführende Diagnostik

Nachweis von Nitrit in wässrigen Lösungen mit Teststreifen aus Harndiagnostik; Bestimmung des Nitratgehaltes im Futter, Mageninhalt, Blut oder Harn mittels Farbreaktionen; Nachweis von Methämoglobin in Blut oder Urin durch Spektralphotometrie (Proben sofort in das Labor bringen und analysieren lassen).
 

6. Differentialdiagnosen

Vergiftung mit anderen Stoffen, die Hämoglobin in Methämoglobin umwandeln (zum Beispiel Chlorate); Harnstoffvergiftung, Kupfervergiftung.
 

7. Therapie

7.1Dekontamination
Aktivkohle und Glaubersalz oder Paraffinöl per Nasenschlundsonde
  
7.2Kreislauf
Flüssigkeit- und Elektrolytersatz, Bluttransfusion
  
7.3Azidose
Ringerlaktat oder Bikarbonat
  
7.4Krämpfe
Diazepam oder Barbiturate verabreichen
  
7.5Antidottherapie
Methylenblau scheint beim Pferd wenig wirksam zu sein, zudem fehlen Dosierungsangaben.
Vitamin C, initial 20 mg/kg i.v., dann 30 mg/kg p.o. 3-mal täglich; Methylenblau und Vitamin C reduzieren Methämoglobin (Fe3+) zu Hämoglobin (Fe2+).
  
7.6Atmung
Bei einem sehr hohen Anteil von Methämoglobin ist keine Reaktion auf eine Beatmung zu erwarten, weil der Sauerstoff gar nicht in das Gewebe transportiert werden kann.
  
7.7Kontraindizierte Arzneimittel
Keine α-adrenergen Mittel, da diese die Hypoxie im Gewebe noch verstärken.
 

8. Fallbeispiel

Bei einem Toxizitätsversuch wurde 2 Pferden Natriumnitrat oral verabreicht. Die Dosis war 1.1 und 2.2 g/kg Körpergewicht. Die Pferde starben kurz danach unter Schweissausbruch, Ataxie und Methämoglobinämie (Bradley et al., 1940).
 

9. Literatur

Bradley WB, Eppson HF & Beath OA (1940) Lifestock poisoning by oat hay and other plants containing nitrate. Univ Wyom Agri Exper Sta Bull 241, 3-20
 
Dietz O & Wiesner E (1982) Handbuch der Pferdekrankheiten für Wissenschaft und Praxis, Verlag S. Karger, Berlin, pp 1272-1274
 
Hintz HF & Thompson LJ (1998) Nitrate toxicosis in horses. Eq Pract 20, 5-6
 
Humphreys DJ (1988) Veterinary Toxicology, Baillière Tindall, London, pp 65-67
 
Kühnert M (1991) Vergiftungen durch Futterinhalts- und Futterzusatzstoffe. In: Veterinärmedizinische Toxikologie (M Kühnert, ed) Gustav Fischer Verlag, Jena, pp 84-98
 
Lorgue G, Lechenet J, Rivière A (1987) Précis de Toxicologie Clinique Vétérinaire, Édition du Point Vétérinaire, Maisons-Alfort, pp 141-142
 
Moeschlin S (1980) Klinik und Therapie der Vergiftungen. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, pp 196-198
 
Olson KR (1999) Poisoning and Drug Overdose, Appleton and Lange, Stamford, Connecticut, pp 233-234
 
Rodriguez FS, Santiyan MPM, Zamorano JDP (1992) Evaluation of reagent strips for the rapid diagnosis of nitrite poisoning. J Anal Toxicol 16, 63-64
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